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Spring Breakers

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Hit Me, Baby, One More Time.

Harmony Korine macht es einem nicht leicht, was durchaus seine Berechtigung hat, ist der Auteur nicht von ungefähr dem Avantgardefilm zuzurechnen. Zuletzt irritierte er den gewöhnlichen Kinozuschauer, insofern der das Werk überhaupt zu Gesicht bekam, mit dem vergnüglichen VHS-Found-Footage-Porträt Trash Humpers. Am bekanntesten ist er aber für sein Varieté-inspiriertes Debüt Gummo von 1997. Stets abstrakt und meist non-linear verdichtet Korine gerne surreale Episoden über soziale Außenseiter. Mit Spring Breakers legt der Amerikaner nun seinen in gewisser Weise zwar unpersönlichsten und zugleich doch reifsten Film vor. Ein nahezu perfektes Amalgam aus Avantgarde, Arthouse und Mainstream. Und damit womöglich nicht mehr und nicht weniger als sein opus magnum.

Denn Spring Breakers kann durchaus als filmisches Spiegelbild des Rezipienten gelesen werden. So erzählt der Film auf der einen Seite natürlich „nur“ die Geschichte von vier heißen Studentinnen (u.a. Vanessa Hudgens und Selena Gomez), die in den Frühlingsferien leichtbekleidet dem Hedonismus in Florida frönen, um dem Uni-Alltag zu entkommen. Und die dabei letztlich vom regionalen Rapper Alien (James Franco) für sein Crime-Start-up rekrutiert werden. Sex, Drogen und Dubstep für die Facebook-Generation. Unter der Oberfläche werden jedoch malicksche Themen wie die Suche einer Generation nach einem versprochenen und verlorenen Paradies sowie einer eigenen Identität in einer Kultur, der man nur auf der Überholspur auf Augenhöhe zu begegnen vermag, behandelt.

“That’s what life is about”, proklamiert Alien später in seinem Strandhaus, während sich Candy (Vanessa Hudgens) auf einem Bett voller Dollar-Scheine wälzt und der bling-bling-Rapper stolz seine Sammlung an Uzis und AK-47 präsentiert. Die Botschaft des Films, das machen seine Figuren deutlich, ist, dass der American Dream nicht von selbst kommt. Man muss ihn sich nehmen. Oder konkreter: Man muss ihn anderen wegnehmen. Das fängt schon damit an, dass Brit (Ashley Benson), Candy und Cotty (Rachel Korine) aufgrund finanzieller Ebbe zu Beginn die Reisekosten nach Florida erstehlen müssen. “Pretend like it’s a videogame”, sagen sie sich und driften fortan verstärkt in eine surreale Parallelwelt ab, voll von Koks, Alkohol, schweren Waffen, Schalldämpfer-Fellatio und Britney Spears.

Korine kontrastiert dabei die abgedunkelten Hörsäle anonymisierter Hochschulen inmitten eines trostlosen und verregneten Nirgendwo mit den paradiesischen Vorstellungen eines von Sonne durchfluteten Floridas, in welchem die Zukunftssorgen und der Alltagsstress in der Heimat gelassen wurden und man stattdessen eine einzige große Party feiert, damit sich persönlich sowie alle anderen und letztlich das Leben selbst zelebrierend. Dieses findet nicht in der Ungewissheit des tomorrowland statt, sondern right here, right now. Wenn Faith (Selena Gomez) dann ihrer Bibelgruppe entflieht, um in nächtlichen Telefonanrufen ihre Oma zum Spring Break einzuladen und im Hotelpool philosophiert, ist die menschliche Suche nach dem Paradies gleichzeitig so nah und doch so fern wie möglich.

Natürlich lässt sich der Sorglosigkeit nicht lange entfliehen, die Realität ist in Spring Breakers immer nur zwei Schritte hinterher und so landen die Mädchen unweigerlich durch die Begegnung mit James Francos – jenseits des overactings in teilweise brillante Sphären kalibrierten – Alien in einer fremden Welt. Und damit in einem ausgewachsenen Bandenkrieg. Denn wie sich zeigt, ist Francos Figur auf ihre Weise eher ein “illegal alien” in Korines selbstgeschaffenem Garten Eden, den jeder der Charaktere in Spring Breakers für sich selbst beanspruchen will. Im Folgenden werden die neu geschaffenen Identitätsbilder der Mädchen und von Alien zur Prüfung auf die Waage gelegt. Und sie alle müssen sich entscheiden, ob sie ihrer „Realität“ standhalten können: “Pretend like it’s a videogame”.

Sowohl inhaltlich auch inszenatorisch hat Harmony Korines jüngster Film wenig mit seinen früheren Werken gemein. Das zeigt sich zuvorderst im Visuellen, das sich in klaren, scharfen, knackigen und bunten Farben widerspiegelt. “There’s this obsession nowadays with technology and with the fact that everything looks so clear”, hatte Korine zum Start von Trash Humpers noch im Gespräch mit Vulture kritisiert. “Everything needs to be so high-definition.” Mit Spring Breakers legt er nun selbst den totalen Gegenentwurf zu seinem Dogma 95-Film Julien Donkey-Boy vor. Kongenial von einem Score Cliff Martinez’ sowie Songs von Musikern wie Skrillex unterlegt, orientiert sich Spring Breakers formal wie narrativ eher an Korines Kurzfilmen Umshini Wam oder Lotus Community Workshop.

Das Beste aus zwei Welten, könnte man so sagen. Denn nur weil sich Korine visuell wie narrativ eher an den Mainstream anschmiedet, was sich allein durch die Besetzung zeigt, heißt dies nicht, dass man auf korineske Elemente verzichten muss. Während der Film in der Tat eher Erinnerungen an seine Kurzfilme, darunter auch Act da Fool, weckt, wird immer noch eine Geschichte von Vandalismus treibenden Außenseitern erzählt. Von einer Rebellion gegen das Establishment, sozusagen. Der „Wahnsinn“ des Regisseurs ist in diesem Fall an die Leine genommen, vergleichbar mit geerdeteren Filmen von Seelenverwandten wie Werner Herzog. Was Spring Breakers also auszeichnet, ist, dass die kreativen Auswüchse des Auteurs zur Abwechslung hier also nicht Amok, sondern ineinander laufen.

Das Ergebnis sind avantgardistische Ideen, kombiniert mit Elementen des Arthouse-Kinos im Gewand des Mainstream-Films. Der Wolf im Schafspelz, gewissermaßen. Aber wenn sich der so sexy und kokett verkleidet wie Ashley Benson und Vanessa Hudgens, um sich lasziv zu bunten Bildern von ins Nirvana hämmerndem Dubstep unterlegt zu räkeln, ist man gerne das Rotkäppchen. Am Ende kann – oder muss – konstatiert werden, dass Harmony Korine mit Spring Breakers nicht nur den bisher vorläufigen Höhepunkt seines Schaffens erreicht hat, sondern mit seinem jüngsten Auswuchs einen der großen Filmen von 2013 abliefert – wahrscheinlich sogar darüber hinaus. Oder wie es James Franco an einer Stelle so schön sagt: “Spring Break. Spring Break. Spring Break forever, bitches”.

9/10

Detropia

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Thank God for the opera.

In der Regel dienen Vorher-Nachher-Grafiken der Veranschaulichung von Verbesserungen. Solche würden sich bei der US-Stadt Detroit wohl kaum finden. War Detroit im Jahr 1930 noch “the fastest growing city in the world”, so ist die Stadt inzwischen “the fastest shrinking city in the United States”. Rund 10.000 Häuser wurden in den vergangenen Jahren abgerissen, alle 20 Minuten zieht eine Familie aus. Das berichtet uns Detropia, der neue Film von Heidi Ewing und Rachel Grady, Regisseurinnen von Jesus Camp und 12th and Delaware. In den letzten 50 Jahren verlor Detroit die Hälfte seiner Bevölkerung, Michigan wiederum im vergangenen Jahrzehnt gut 50 Prozent seiner Arbeitsplätze im Fertigungsbereich.

Detroits Niedergang hängt natürlich auch mit der jüngsten Wirtschaftskrise zusammen. Für den Ex-Lehrer und Bar-Besitzer Tommy Stephens läutete 2008 jedoch weniger eine Rezession denn eine neuerliche Depression ein. “We were in 1929”, echauffiert er sich. Kamen früher die Fabrikarbeiter der Automobilhersteller nach der Arbeit in seine Bar und orderten Großbestellungen, bleiben diese inzwischen aus. Woran das liegt, zeigt uns der Film, als er ein Gewerkschaftstreffen besucht. Der Autozulieferer American Axle hatte zuvor bereits 2.000 Arbeitsplätze nach Mexiko verlagert und droht nun auch die letzte Fabrik in Detroit zu schließen. Es sei denn, die Arbeiter nehmen Lohnkürzungen von bis zu 25 Prozent hin.

“To humiliate us”, schnaubt Gewerkschaftsführer George McGregor. Seine Arbeiter lehnen eine Verhandlung entsprechend ab, American Axle schloss daraufhin die Fabrik. Wie sehr die Stadt, in der Henry Ford einst seine Firma begründete, von der Automobilbranche abhängt, zeigt sich auch in anderen Facetten. Zum Beispiel bei der Michigan Oper, die von drei Auto-Konzernen finanziell abhängig ist. “Everything in Detroit is at stake”, sagt daher auch Oper-Direktor David Dickiera. Mit dem Problem der verstärkten Abwanderung beschäftigt sich auch das Rathaus der Stadt, eine Lösung zeichnet sich jedoch nicht ab. Die Probleme sind dabei nicht ausschließlich Detroit-bezogen, sondern teils von landespolitischer Natur.

Denn im internationalen Wettbewerb scheint China den USA den Rang abgelaufen zu haben. Das merkt auch Tommy Stephens, als er mit Ewing und Grady eine Automobilmesse besucht. Dort stellt der chinesische Autohersteller BYD (Built Your Dreams) ein Elektroauto für den Preis von $20.000 vor. Wenige Meter weiter verlangt General Motors für seinen in Detroit hergestellten Chevrolet mit Elektroantrieb das Doppelte. Alles, so will Detropia zeigen, ist in Detroit vernetzt. Die Automobilbranche stützt die Arbeiter und die Oper, die Oper dann Etablissements wie den Coffeeshop auf der anderen Straßenseite und die Arbeiter der Fabriken unterstütz(t)en wiederum die Bar von Tommy Stephens. Ein einziger, großer Kreislauf.

Alles hängt scheinbar mit der Automobilbranche zusammen. Ideen des Rathauses, die verstreut lebende Bevölkerung zu bündeln und das Umland dann in Farmen umzugestalten, treffen bei den Detroitern keinen Nerv. Im Gegenteil, sie wecken Segregationserinnerungen. Die vielen leerstehenden Gebäude sorgen mit ihren niedrigen Mietpreisen derweil für einen Gentrifizierungseffekt. (Performance-)Künstler wie Steve und Dorota Coy ziehen nach Detroit, weil sie hier günstige Lofts und Ateliers nicht nur mieten, sondern sogar kaufen können. Die brachliegenden Gebäude bilden zudem gleich ein künstlerisches Motiv. Gentrifizierung als Chance, propagiert Detropia in seinem finalen Akt – allerdings nicht konsequent.

Gerade die Gentrifizierung hätte der Film konkreter ansprechen können, kommt ihr Potential für eine „Re-Population“ doch etwas zu kurz. Genauso wie die anderen Ursachen für den Niedergang Detroits, der nicht nur durch die Rezession von 2008 zu erklären ist. Wo liegen Alternativen zur Automobilbranche, wo die Chancen zur Regeneration? Letztlich hätte Detropia mehr aus seinen Möglichkeiten machen können, auch als warnendes Beispiel für andere “motor cities” wie sie in Bochum zu finden sind. Dennoch ist Ewing und Grady ein kurzweiliger und interessanter Beitrag gelungen, der bei all seinen Requiem-Elementen auch Hoffnung birgt. “It’ll come back”, zeigt sich selbst Tommy Stephens zuversichtlich.

6.5/10

The Bridge on the River Kwai

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Good show! Jolly good show!

Das Kino von heute besteht aus Prequels, Sequels, Remakes und Reboots – und aus jeder Menge CGI. Die wiederum sollen gut aussehen und wenig kosten, denn andernfalls könnte man ja gleich die gemütlichen Gefilde eines Studios verlassen. Epische Filme on location zu drehen wird immer seltener und ein Film wie The Bridge on the River Kwai würde heute vermutlich nicht erneut so entstehen wie in den 1950er Jahren. Damals drehte Regisseur David Lean über acht Monate – genau: 251 Tage – im Dschungel von Sri Lanka, ließ 1.500 Bäume fällen, um jene Brücke für damals rund $250,000 (Inflationsbereinigt wären das heute circa zwei Miliionen Dollar) über den Fluss Kelani in 90 Fuß Höhe zu bauen.

Dabei unterscheidet den Film im Grunde wenig von heutigen Blockbustern, zumindest begleiten ihn dieselben Geschichten. Sein hohes Budget (damals drei Millionen Dollar) war ein Risko, die Dreharbeiten im Ausland dauerten ein dreiviertel Jahr und die Besetzung des Regiestuhls wie der Hauptdarsteller war eine 1b-Lösung. Eigentlich wollte Produzent Sam Spiegel die Inszenierung der Adaption von Pierre Boulles Roman John Ford oder Howard Hawks anvertrauen. David Lean erhielt den Zuschlag nur, weil Spiegel niemand anderen fand – und Lean selbst akzeptierte nur, weil der finanziell klamme Brite Geld brauchte. Und auch bei den beiden Hauptdarstellern engagierte man letztlich nicht seine Wunschkandidaten.

Die Titelrolle des von Integrität und militärischer Disziplin beherrschten Lt. Colonel Nicholson übernahm der zuvor primär als Komödiendarsteller aufgetretene Alec Guinness, da es mit Charles Laughton nicht klappte. Als Hollywood-Gallionsfigur strebte man eher Cary Grant oder Spencer Tracy an, am Ende erhielt William Holden den Zuschlag und eine Rekordgage von $300,000 mit zehnprozentiger Gewinnbeteiligung. Das Resultat ist bekannt, The Bridge on the River Kwai avancierte zum Kassenhit und spielte das 11-fache seiner Kosten ein. Holden hatte finanziell ausgesorgt, derweil erhielten Spiegel, Lean und Guinness drei von insgesamt sieben Academy Awards. Der Film selbst wurde anschließend zum Klassiker.

Rückblickend betrachtet kann man nur sagen, dass er dies zurecht ist. Basierend auf Boulles Roman von 1952 und dem britischen Colonel Philip Toosey erzählt The Bridge on the River Kwai die Geschichte dreier Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Von ihrer Würde, ihrem Stolz und ihren militärischen Verpflichtungen. Auf der einen Seite steht der japanische Colonel Saito (Sessue Hayakawa), der ein Kriegsgefangenenlager im thailändischen Dschungel leitet und innerhalb der nächsten Monate eine Brücke über den Fluss Kwai gebaut haben muss. Ihm gegenüber steht Alec Guinness’ auf den Genfer Konventionen beharrender Lieutenant Colonel Nicholson, der sich weigert, dass seine Offiziere körperliche Arbeit leisten.

Damit beginnt Nicholson ein zähes, psychologisches Duell mit seinem Gegenüber, bei dem beide Männer nicht ihr Gesicht verlieren wollen. Unterdessen bricht der US-Marineoffizier Shears (William Holden) aus dem Gefangenenlager aus – nur um in Ceylon von dem britischen Major Warden (Jack Hawkins) wider Willen für eine Sabotage-Mission an der Brücke rekrutiert zu werden. Ihr aller Schicksal wird später an dieser Brücke entschieden, in einer dramatischen Klimax, die Stolz, Würde und Ehre außer Acht lässt und in der Shears entgegen seiner eigenen zuvor postulierten Worte handelt: “How to die like a gentleman, how to die by the rules – when the only important thing is how to live like a human being”.

Insofern geht es in Leans Film weniger um das Bauen oder Verhindern einer Brücke als um die Charaktere und ihre Werte. So vermisst Saito die Scham der unterlegenen Briten und diese wiederum setzen alles daran, ihre Ehre zu behalten. “You have survived with honour”, addressiert später Nicholson seine Männer. “You have turned defeat into victory.” In gewisser Weise avanciert The Bridge on the River Kwai in der Beziehung zwischen Saito und Nicholson, die durchaus Respekt füreinander empfinden, zum Culture Clash zweier stolzer Nationen. Für Shears geht es dagegen lediglich um sein Überleben, weniger um die Aufrechterhaltung seiner Würde oder irgendwelcher westlicher (Militär-)Konventionen.

Diese waren ohnehin in der Realität außer Kraft gesetzt, angesichts von mehr als 1.000 japanischer Lager in Burma und Thailand während des Krieges mit rund 90.000 Alliierten als Gefangenen. Deren Todesrate lag mit 27 bis 37 Prozent höher als die in den deutschen oder italienischen Lagern. Was wiederum Shears Fluchtstreben erklärt und seine Ignoranz der widrigen Umstände in Thailand (“We are an island in the jungle”, erklärt Saito entsprechend). Für Nicholson geht es jedoch darum, den Männern einen Sinn zu geben und damit etwas, an dem sie festhalten können. Entsprechend bestrebt ist der Militäroffizier, den Japanern deshalb die bestmögliche Brücke zu bauen, die den britischen Soldaten möglich ist.

Ein Vorhaben, das nicht jedem einleuchtet. “Must we work so well?”, wird Nicholson von Lagerarzt Major Clipton (James Donald) gefragt. “Must we build them a better bridge than they could have built for themselves?” Aber gerade darin liegt für Nicholson der Sieg in der Niederlage. Und angesichts solcher bornierter Typen wie Nicholson, Saito und Warden können Außenstehende wie Shears letztlich nur klein beigeben oder wie Clipton später resümieren, dass das Geschehene und Gesehene nichts weiter ist als Wahnsinn. The Bridge on the River Kwai ist trotz seiner historischen Einordnung in den Zweiten Weltkrieg somit weniger Kriegsfilm als vielmehr Psychogramm seiner Figuren und damit Charakterkino.

Zwar ist der Film zuletzt in der Gunst des American Film Institute um 23 Plätze von Platz 13 auf Platz 36 der 100 besten Filme aller Zeiten gefallen, an der Klasse von The Bridge on the River Kwai und seinem Status als Meisterwerk hat dies jedoch nichts geändert. Wie John Milius in einem Interview im Bonusmaterial korrekt bemerkt: Es lassen sich schwerlich bessere Charaktere schreiben als dies Carl Foreman und Michael Wilson getan haben. Am Ende entwickelte sich Leans Film zu einer Win-Win-Situation für alle Beteiligten – das Publikum eingeschlossen. The Bridge on the River Kwai ist somit ganz großes Kino und ganz klar ein Werk der Marke: Solche Filme werden heute gar nicht mehr gedreht. Leider.

9/10

Filmtagebuch: März 2013

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THE BAD LIEUTENANT: PORT OF CALL - NEW ORLEANS
(USA 2009, Werner Herzog)
6.5/10

BEETLEJUICE
(USA 1988, Tim Burton)
7.5/10

THE BRIDGE ON THE RIVER KWAI
(USA/UK 1957, David Lean)
9/10

THE CABLE GUY
(USA 1996, Ben Stiller)
5.5/10

CHILLERAMA
(USA 2011, Adam Green u.a.)
8/10

DOCTOR ZHIVAGO
(USA/I 1965, David Lean)
6.5/10

DUMB AND DUMBER
(USA 1994, Peter Farrelly)
8.5/10

FUN WITH DICK AND JANE
(USA 2005, Dean Parisot)
4/10

THE GATEKEEPERS[TÖTE ZUERST]
(IL/D/F/B 2012, Dror Moreh)
7/10

IN BRUGES[BRÜGGE SEHEN... UND STERBEN?]
(UK/USA 2008, Martin McDonagh)
8/10

JACK AND JILL
(USA 2011, Dennis Dugan)
3.5/10

KNOWING
(USA/UK/AUS 2009, Alex Proyas)
2.5/10

LAWRENCE OF ARABIA
(UK 1962, David Lean)
9/10

THE LOVED ONES
(AUS 2009, Sean Byrne)
3/10

EL ORFANATO[DAS WAISENHAUS]
(E/MEX 2007, Juan Antonio Bayona)
2/10

POLICE ACADEMY
(USA 1984, Hugh Wilson)
5/10

REALITY BITES
(USA 1994, Ben Stiller)
5.5/10

DE ROUILLE ET D’OS [DER GESCHMACK VON ROST UND KNOCHEN]
(F/B 2012, Jacques Audiard)
7/10

SMASHED
(USA 2012, James Ponsoldt)
4.5/10

THIS IS SPINAL TAP
(USA 1984, Rob Reiner)
8/10

TMNT[TEENAGE MUTANT NINJA TURTLES]
(HK/USA 2007, Kevin Munroe)

6.5/10

TROPIC THUNDER
(USA/UK/D 2008, Ben Stiller)
5.5/10

VERONICA MARS - SEASON 1
(USA 2004/05, Nick Marck u.a.)
7/10

VERONICA MARS - SEASON 2
(USA 2005/06, John Kretchmer u.a.)
6/10

VERONICA MARS - SEASON 3
(USA 2006/07, John Kretchmer u.a.)
5.5/10

THE WALKING DEAD - SEASON 3
(USA 2012/13, Greg Nicotero u.a.)
7/10

WAR HORSE[GEFÄHRTEN]
(USA 2011, Steven Spielberg)

5/10

WHEN THE WIND BLOWS[WENN DER WIND WEHT]
(UK 1986, Jimmy T. Murakami)

5.5/10

WHO FRAMED ROGER RABBIT
(USA 1988, Robert Zemeckis)
8.5/10

Werkschau: Judd Apatow


THE 40-YEAR OLD VIRGIN[UNRATED VERSION]
(USA 2005, Judd Apatow)

4.5/10

KNOCKED UP[UNRATED VERSION]
(USA 2007, Judd Apatow)

5/10

FUNNY PEOPLE
(USA 2009, Judd Apatow)
6.5/10

THIS IS 40[UNRATED VERSION]
(USA 2012, Judd Apatow)

6.5/10

Werkschau: The Coens


BLOOD SIMPLE.[DIRECTOR’S CUT]
(USA 1984, Joel Coen)

8/10

RAISING ARIZONA
(USA 1987, Joel Coen)
6/10

MILLER’S CROSSING
(USA 1990, Joel Coen)
8/10

BARTON FINK
(USA/UK 1991, Joel Coen)
7/10

THE HUDSUCKER PROXY
(UK/D/USA 1994, Joel Coen)
7.5/10

FARGO
(USA/UK 1996, Joel Coen)
8/10

THE BIG LEBOWSKI
(USA/UK 1998, Joel Coen)
10/10

O BROTHER, WHERE ART THOU?
(UK/F/USA 2000, Joel Coen)
5.5/10

THE MAN WHO WASN’T THERE
(USA/UK 2001, Joel Coen)
6/10

INTOLERABLE CRUELTY
(USA 2003, Joel Coen)
5.5/10

THE LADYKILLERS
(USA 2004, Ethan Coen/Joel Coen)
7/10

NO COUNTRY FOR OLD MEN
(USA 2007, Ethan Coen/Joel Coen)
7/10

BURN AFTER READING
(USA/UK/F 2008, Ethan Coen/Joel Coen)
6.5/10

A SERIOUS MAN
(USA/UK/F 2009, Ethan Coen/Joel Coen)
6.5/10

TRUE GRIT
(USA 2010, Ethan Coen/Joel Coen)
6.5/10

Tomb Raider

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The extraordinary is in what we do, not who we are.

Es ist einige Jahre her, seit Lara Croft das letzte Mal über den Bildschirm gehüpft ist. Zuletzt hatte der Archäologin des Spielentwicklers Square Enix ihr männliches Pendant Nathan Drake von Naughty Dogs Uncharted-Serie den Rang abgelaufen. Im März warf das Entwicklerteam von Crystal Dynamics nun erneut seinen Hut in den Ring und wartete – wie sollte es heutzutage auch anders sein? – mit einer Origin-Story auf. Die gab es zwar erst 2006 in Legends, dennoch erhielt die Britin ein erneutes Facelifting genauso wie eine inhaltliche Umorientierung. Denn der dieses Mal einfach Tomb Raider benannte Neuanfang bewegt sich in eine etwas andere Richtung als vor fünf Jahren noch bei Underworld der Fall.

Das Spiel beginnt dabei mitten in der Handlung. Eine junge Lara Croft (gesprochen von Camilla Luddington) befindet sich auf hoher See auf der Suche nach Yamatai, dem ersten schriftlich festgehaltenen Königreich in Japan. Allerdings erfährt der Spieler dies erst später, zu Beginn wird erstmal das Spielgeschehen in Aktion gesetzt. Ein Sturm sucht das Schiff heim und lässt es auf eine Insel auflaufen. Dort wird Lara von ihren Freunden getrennt und in eine Höhle verschleppt. Scheinbar sind sie tatsächlich auf Yamatai gelandet, doch ist die Insel bevölkert von dem sektiererischen Kult der Solarii rund um deren Führer Mathias, die der Sonnenkönigin Himiko hörig sind und Laras Freunde gefangen halten.

Statt durch Ruinen zu wandern und nach Fundstücken zu stöbern, biedert sich Tomb Raider also eher als ein Survival-Drama an. Unsere frisch von der Universität kommende Archäologin ist zu Beginn auf sich selbst angewiesen: verletzt, durchnässt und hungrig. Im Laufe des Spiels gilt es Erfahrungspunkte im Plündern zu sammeln, Tiere zu jagen und sich der Solarii zu erwehren. Der Fokus der Haupthandlung liegt darauf, ein Rettungssignal zu senden, um von der Insel zu gelangen, sowie seine Freunde, allen voran Kommilitonin Sam Nishimura, die Himiko als Opfergabe dargereicht werden soll, zu befreien und zu retten. Der Puzzle- und Schnitzeljagdaspekt der Schatzsucherei hält sich im Hintergrund.

Gerade zu Beginn erweckt das jüngste Spiel von Crystal Dynamics dabei Erinnerungen an das Vorjahresgame Far Cry 3. Hier wie dort wird der Spieler auf einer Insel gestrandet, seine Freunde gefangengenommen und man muss sich anschließend die Natur zu Nutze machen, um durch Erfahrungspunkte seine Fähigkeiten und Waffen aufrüsten zu können. Wo Far Cry 3 allerdings mit einem Open-World-Konzept und GTA-Charakter daherkam, orientiert sich Tomb Raider was den Ablauf angeht eher an den Uncharted-Teilen oder Batman: Arkham City. So wie in letzterem Vertreter kann man nach Beendigung der Haupthandlung zurück ins Spielgeschehen tauchen, um alle offenen Nebenmissionen vollends abzuschließen.

In diesen geht es dann nur gelegentlich um das tatsächliche Rauben von Gräbern, ansonsten müssen Dokumente, Artefakte und andere kleinere Trophäen unterwegs aufgesammelt werden. Die wiederum liefern dann auch die Hintergrundgeschichte um Laras Begleitung. Dass die reiche Familie ihrer Freundin Sam die Expedition finanziert, der ehemalige Marine und Kumpel von Laras Vater, Conrad Roth, als Begleiter fungiert oder der an Renommee eingebüßte Archäologe Dr. James Whitman durch den Fund von Yamatai seinen Ruf aufpolieren will. All das ist jedoch im Grunde nur Nebengeplänkel in Laras Unterfangen, ihre jeweiligen Aufträge und Missionen entgegen der allgegenwärtigen Präsenz der Solarii zu erfüllen.

Gerätselt werden darf bisweilen dennoch, gerade wenn es gilt, die jeweiligen Gräber zu rauben. Dass Lara jedoch mit einer Instinktfunktion versehen wurde, die als Hinweis- und Tippgeber fungiert, ist leider etwas zu viel der Hilfe. Im direkten Vergleich kam Underworld vor fünf Jahren also verzwickter daher, was in diesem Fall aber lediglich Jammern auf hohem Niveau darstellt. Denn auch wenn Tomb Raider in seinem unentwegten Ausschalten seiner Gegenüber – wahlweise per Bogen, Pistole, Maschinengewehr oder Schrotflinte – wenig von Far Cry 3 oder insbesondere der Uncharted-Reihe unterscheiden mag, gerät das Szenario so unterhaltsam, dass man beim Spielen schnell die Zeit vergisst.

Denn auch wenn diesmal die Handlung auf einer einzigen Insel spielt, gibt es genügend Set-Pieces, um für Abwechslung zu sorgen. Seien es Wald- oder Berglandschaften, Türme oder Shanty Towns, ein Schiffsfriedhof oder die Innenräume von Bunker, Tempel und Schiffen – kaum eine Szenerie sieht aus wie die Vorherige. Ohnehin gefällt das neue Design von Lara Croft und ihrer Welt, wirkt gewollt härter und an den Genrekollegen orientiert. Tomb Raider selbst kommt mit einer Freigabe ab 18 daher, was sich wohl zuvorderst der jeweiligen Cut Scenes verdankt, sollte Lara im Spiel sterben. Da wird ihr Schädel zertrümmert, ihr Körper aufgespießt, ihre Kehle durchgeschnitten oder ihr Genick von Wölfen gebrochen.

Etwas enttäuschend ist, dass der ganze Spaß nach rund 15 Stunden bereits vorbei ist – ähnlich wie bei Arkham City. Das Finale fühlt sich nicht wirklich wie ein solches an, was auch daran liegen könnte, dass man ein ähnliches Szenario zuvor bereits im Spiel durchleben musste. Die Luft für die Aufspürung der fehlenden Trophäen ist dann etwas raus, dennoch darf unterm Strich konstatiert werden, dass Tomb Raider, das insgesamt elfte Spiel und fünfte solche von Crystal Dynamics, ein gelungener – wenn vielleicht auch nicht unbedingt nötiger – Relaunch der populären Figur von 1996 ist. Die Zukunft für Lara Croft könnte insofern kaum rosiger aussehen und hoffentlich dauert ihre Rückkehr nicht wieder fünf Jahre.

8.5/10
Szenenbilder Tomb Raider© Square Enix

Die Top 5: Coen-Charaktere

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Appearances can be... deceptive.
(Chad Feldheimer, Burn After Reading)

Sie zählen zu den Größen in Hollywood – nicht zuletzt aufgrund vier Oscarauszeichnungen bei insgesamt 13 Academy Award-Nominierungen. Die beiden Brüder Joel und Ethan Coen drehen seit fast drei Jahrzehnten Filme und hinterließen eine Handvoll Meisterwerke und eine noch größere Zahl an unvergesslichen Figuren. Es lässt sich vermutlich darüber streiten, dass viele Geschichten nur so gut sind wie die Charaktere, die sie bevölkern. Insofern zählen die Gebrüder Coen wohl zur Oberschicht der Traumfabrik, hinterlassen ihre oftmals schrulligen Figuren doch nicht nur aufgrund ihrer irrwitzigen Namen einen bleibenden Eindruck.

Von H.I. McDunnough in der Entführungskomödie Raising Arizonaüber Handlanger Tic Tac im Noir-Krimi Miller’s Crossing und den suizidalen Magnat Waring Hudsucker in The Hudsucker Proxy bis hin zu Anwalt Freddy Riedenschneider in The Man Who Wasn’t There– kaum eine Figur der Coens ist nicht so verquer wie ihr Name andeutet. Sie alle haben ihre (sehr eigenen) Eigenheiten und ihre unvergessliche Art. In der Regel vergeht kaum ein Coen-Film, ohne dass man zumindest eine seiner Figuren über Jahre hinweg im Gedächtnis behält. Was sich neben ihren Namen nicht zuletzt auch ihrer Ikonenhaften Inszenierung verdankt.

Sei es der so verschwitzte wie schmierige M. Emmet Walsh als Loren Visser in Blood Simple., Motorradkopfgeldjäger Leonard Smalls (Randall ‘Tex’ Cobb) in Raising Arizona, Michael Badaluccos Darstellung von George ‘Baby Face’ Nelson in O Brother, Where Art Thou? oder John Goodmans höllisches Finale als Charlie ‘Madman Mundt’ Meadows in Barton Fink. Unverwechselbar mögen die Figuren aufgrund ihrer Erscheinung sein, wie Tom Hanks’ räuberischer Professor G.H. Dorr in The Ladykillers, oder semantischen Wiederholung. Gerade die Wiederkehr von Phrasen, aber auch der Namen der Charaktere durchziehen das Werk der Coens.

So verspricht der private Ermittler Gus Petch (Cedrick the Entertainer) in Intolerable Cruelty wiederholt “I’ll nail his ass!” und Tim Robbins verkauft seine Idee der Hulla-Hoop-Reifen als Norville Barnes in The Hudsucker Proxy mit der Erklärung: “You know, for kids”. In dem Krimi Miller’s Crossing fragen die Figuren unentwegt “What’s the ruckus?” und die alte Dame Marva Munson (Irma P. Hall) lamentiert in The Ladykillers die “hippity hop”-Textzeile “I left my wallet in El Segundo” der Formation A Tribe Called Quest. “I could tell you some stories…”, versichert Charlie Meadows in Barton Fink und lässt dann doch lieber Taten sprechen.

Die Liebe zu ihren Charakteren zieht sich bis in die Nebenfiguren, sei es Dan Hedayas betrogener Clubbesitzer Marty in Blood Simple. oder Michael Lerners Studioboss Jack Lipnick in Barton Fink. Sogar die unwichtigsten Figuren wie Blood Simple.’s Barmann Meurice, der um $20 betrogenen Schüler Fagle in A Serious Man oder Heinz, Baron Krauss von Espy in Intolerable Cruelty wachsen einem in der Kürze ihrer Leinwandzeit ans Herz. Angesichts des Portfolios von Joel und Ethan Coen erklärt sich, was sie an Romanfiguren wie Rooster Cogburn in True Grit ebenso wie an den Charakteren in Cormac McCarthys No Country for Old Men interessierte.

In Letzterem erscheint die Beziehung zwischen Tommy Lee Jones’ Sheriff Ed Tom Bell und Garret Dillahunts Deputy Wendell als ein Spiegelbild zum Arbeitsverhältnis von Frances McDormands Marge Gunderson und Deputy Lou in Fargo. Da sowohl No Country for Old Men als auch True Grit direkte Romanadaptionen sind, bleiben ihre Figuren für diese Top 5 außen vor. Die Wahl der fünf finalen Figuren ist bei diesem Sammelsurium an Charakteren natürlich mehr als subjektiv und willkürlich, ließe sich doch zu fast jedem Film der Brüder eine entsprechende eigene Liste erstellen. Meine fünf liebsten Charaktere der Coen-Filmografie sind daher wie folgt:


5.Harry Pfarrer in Burn After Reading: Als untreuer ehemaliger Personenschützer des Finanzministeriums schloss George Clooney seine informelle „Idioten“-Trilogie für die Coens ab. Sein affiner Jogger Harry Pfarrer (“Maybe I can get a run in”) ist neben Brad Pitts Chad Feldheimer der Trumpf dieser Spionage-Komödie, in deren Verlauf sich der charmante Ehebrecher mehr und mehr in seiner Paranoia verliert (“Who the fuck do you work for, you fucker?”), ehe er sich nach Venezuela abzusetzen versucht.

4.Marge Gunderson in Fargo: Passend, dass die herausforderndste Szene für Frances McDormands im siebten Monat schwangere Polizei-Chefin in dieser Krimi-Komödie das Treffen mit einem alten Schulverehrer ist. Egal ob drei Tote auf der Schnellstraße oder das Entsorgen einer Leiche im Schredder – nichts bringt Marge Gunderson aus der Fassung. Vielmehr stoßen die verübten Verbrechen bei ihr bloß auf Verwunderung: “Here ya are and it’s a beautiful day. Well. I just don’t understand it”.

3.Walter Sobchak in The Big Lebowski: Mit demnächst sechs Filmen zählt John Goodman zum Stammpersonal der Coens. Sein zum jüdischen Glauben konvertierter Vietnam-Veteran Walter Sobchak ist dabei fraglos sein Magnus opum. Egal ob es um das Übertreten buchstäblicher Linien (“This is not ’Nam. This is bowling. There are rules.”), Lösegeldübergaben oder das Beschaffen kleiner Zehen geht, der leicht soziopathisch veranlagte Walter zeigt uns hier “what happens when you fuck a stranger in the ass”.

2.Johnny Caspar in Miller’s Crossing: Auch Jon Polito arbeitete mit den Brüdern mehrmals zusammen, am eindrücklichsten wohl als Unterweltboss mit ethischem Anspruch. Dieser verbietet es ihm auch, Gabriel Byrnes Figur nach einem Abkommen zu hintergehen: “You double-cross once – where’s it all end? An interesting ethical question”. Johnny Caspar ist eine Figur mit Rückgrat und Werten, die man lieber nicht herablassend behandelt (“What is this, the high hat?”) oder ihr sagt, man habe es gleich gewusst.

1.The Dude in The Big Lebowski: Doch es kann nur einen geben und wer könnte dies auch anderes sein als Jeff Bridges’ König der Slacker? Hineingezogen in eine Krimigeschichte à la Raymond Chandler verliert sich der dem White Russian verfallene Dude in der Suche nach seinem Teppich (“That rug really tied the room together.”) sowie der Frau eines Namensvetters und der Erschaffung neuen Lebens. “The Dude abides”, erklärt er lakonisch und wie der Stranger meint: “It’s good knowin’ he’s out there. The Dude”.

Meet Joe Black

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In this world nothing can be said to be certain, except death and taxes.
(Benjamin Franklin)

Was der Mensch nicht versteht, dem verleiht er gern Gestalt – oft in humanoider Form. So wird die Entstehung aller Dinge einem Gott zugeschrieben, der uns nach seinem Ebenbild erschaffen hat (respektive vice versa). Obschon es in der Bibel heißt „Der HERR hat’s gegeben, der HERR hat’s genommen“(Hiob 1,21) holt der Schöpfergott seine Kreationen beim Ableben dem Verständnis nach nicht selbst ab. Vielmehr ist es der Tod, der entsprechend eine allegorische Darstellung als Sensenmann oder blasse Gestalt in schwarzer Kutte erhält. Unvergessen ist seine Porträtierung durch Bengt Ekerot in Ingmar Bergmans Det sjunde inseglet, auch wenn Gevatter Tod wohl nie so sexy war wie in Meet Joe Black.

Gespielt von Hollywood-Star Brad Pitt, drei Jahre zuvor noch zum Sexiest Man Alive gekürt, macht es sich der Tod als Beau in der High Society bequem. Martin Brests Film basiert dabei auf dem italienischen Stück La morte in vacanza(1924) von Alberto Casella und behandelt im Prinzip dieselbe Thematik. Der Tod nimmt Urlaub von seinen Pflichten, um aus erster Hand zu erfahren, was das eigentlich ist: das Leben. Durch dieses soll ihn der Medienmogul Bill Parrish (Anthony Hopkins) führen, dessen Ableben sich ankündigt, durch das plötzliche Auftauchen des adretten „Joe Black“ (Brad Pitt) jedoch verzögert wird. Fortan probiert Joe alles aus, von Erdnussbutter bis zum Sex mit Parrishs Tochter Susan (Claire Forlani).

Die wiederum hatte mit dem blonden Schönling am Morgen seines Erscheinens noch munter geflirtet, ehe dieser zwecks Inanspruchnahme vom Tod ins Jenseits befördert wurde. Jenes erste Gefühl des Verliebtseins projiziert die gelernte Ärztin fortan auf den so einsilbigen wie naiven Joe – sehr zum Missmut von ihrem Vater sowie dessen rechter Hand und ihrem Freund Drew (Jake Weber). Und da Joe nicht mehr von Bills Seite weicht und dieser seinerseits eine Übernahme seiner Firma abschmettert, beginnt Drew ein Netz aus Intrigen zu spinnen. Alle Ereignisse laufen letztlich am Abend von Bills 65. Geburtstag zusammen, den seine älteste Tochter Allison (Marcia Gay Harden) in mühevoller Kleinarbeit geplant hat.

Relativ wenig passiert in Meet Joe Black, zumindest angesichts seiner epischen Länge von fast drei Stunden. Dennoch vermag Brests Film, so unausgereift die Handlung letztlich auch ausfällt, nie wirklich zu langweilen. Dass Susan ziemlich schnell Hals über Kopf Joe verfällt beziehungsweise dem Echo ihrer morgendlichen Begegnung, gerät ebenso in den Hintergrund wie die Frage, warum sich der Tod ausgerechnet Bill Parrish als Führer durchs Leben wählt. Denn wer eine Ahnung vom menschlichen Leben haben will, sucht sich vermutlich nicht repräsentativ einen One Percenter als Beispiel aus oder verbringt seine Zeit auf der Erde in den Mahagoni-Büros und Ledersesseln von Downtown-Wolkenkratzern.

Allerdings wäre eine Variante im Stil von Slumdog Millionaire wohl weniger interessant für die Produzenten und das Studio gewesen. Dass der Tod also aufgrund eines väterlichen Rats von Bill an Susan, ein wenig spontaner zu sein, diesen als lebendes Beispiel auswählt, ist ebenso geschenkt. Stimmiger wäre eventuell gewesen, wenn Bill aus eigenem Antrieb sein Ableben aufgeschoben hätte, im Austausch für sein kurzfristiges Dasein als Reiseleiter. Aber wie angesprochen steht die Handlung in diesem Fall hinter der grundsätzlichen Prämisse von Meet Joe Black zurück: Der Idee, dass der Tod auf die Erde kommt, um die Menschen, die er täglich ins Jenseits befördert, näher kennenzulernen.

“Only recently (..) your affairs here have piqued my interest”, eröffnet der Tod gegenüber Bill in ihrer ersten Begegnung. “Call it boredom.” Wie mag es dort wohl sein, wo alle seine „Fahrgäste“ herstammen? An jenem Ort, den keiner wirklich verlassen will, an den sich jeder von ihnen klammert? “All these things they say about you in testimonials”, erklärt der Tod. Nun will er sich also selbst ein Bild davon machen, mit Bill als Führer. Ob er sterbe, fragte dieser zuvor die Fragen aller Fragen, die ihm der blonde Beau im Anzug daraufhin bejahte. Offen bleibt, ob Parrish stirbt, damit der Tod ein Druckmittel für seine Anwesenheit und Bills Anleitung hat oder ob der Tod des 65-Jährigen seit jeher immer schon so vorgesehen war.

Weitaus interessanter als das Zusammenspiel zwischen Joe und Bill fallen jedoch zwei Szenen zwischen Ersterem und einer alten, krebskranken Jamaikanerin und Patientin von Susan im Krankenhaus aus. Die wiederum erkennt den Tod in Menschengestalt und befürchtet zuerst, von diesem geholt zu werden, nur um später exakt darum zu bitten: ihr Lebensende. “Can’t do no right by people”, lamentiert Joe darauhin in Patois. “Come to take you, you want to stay. Leave you stay, you want to go. Rahtid.” Im Dialog mit der alten Dame dröselt Meet Joe Black auch die Motive des Sensenmannes für seine erstmalige Präsenz im Reich der Lebenden auf. “I not lonely here”, gesteht er ihr nun, “somebody want me here”.

Bereits zuvor hatte er eine entsprechende Andeutung gegenüber Susan gemacht, als er vorschlug, sie würden Freunde – was sie ablehnte, da sie genügend hätte. “I don’t have any”, erwidert Joe. Die vermeintliche Einsamkeit des Todes überwältigt sogar seine eigenen „Gefühle“: Was ihm angeboten wird, gefällt ihm. Sei es Erdnussbutter, Geschlechtsverkehr oder der Schwager in spe (Jeffrey Tambor). “Schoolboy things in your head”, wiegelt die Jamaikanerin ab. Wie Joe auf seine Umwelt reagiert, gibt uns gleichzeitig eine Andeutung, was in ihm vorgehen muss, wenn er nicht auf der Erde ist. Niemand, der sich freut, dass er da ist, keine Wertschätzung. “We lonely here mostly too”, offenbart die alte Frau.

Am Ende muss sich der Tod mit seinem Schicksal abfinden, ebenso wie Bill selbst. Während dessen Zeit abgelaufen ist, darf der Tod als ein Geschöpf angesehen werden, das außerhalb der Idee von Zeit existiert. Ob er wirklich nachempfunden hat, was es bedeutet, menschlich zu sein, darf bezweifelt werden. Zumindest hat er eine Ahnung davon, warum die Menschen an ihrem Leben hängen. Und fortan ist er nicht mehr alleine, hat er doch nun seine Erinnerungen. Die sind es auch, wozu jede Flucht aus dem Alltag schließlich wird. “Like you come to the island and had a holiday”, sinniert die Jamaikanerin. “If we lucky, maybe, we got some nice pictures to take with us.” Im Falle von Meet Joe Black sind es 178 Minuten.

8.5/10

Side By Side

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Is this the end of film?

Wer nach den filmischen Anfängen der gegenwärtigen “big player” in Hollywood fragt, wird wohl in den meisten Fällen auf dieselbe Antwort stoßen: Super 8. Egal ob Spielberg, Jackson oder Abrams – sie alle drehten einst mit dem Schmalfilm-Filmformat. Heute wäre das wohl undenkbar, stattdessen dreht die Jugend inzwischen mit den Kameras ihrer Smartphones. “Digital technology is evolving to a point that may very well replace film as the primary means of creating and sharing motion pictures”, erklärt uns Keanu Reeves bedeutungsschwanger zu Beginn von Side By Side. Gemeinsam mit Regisseur Chris Kenneally fragt sich Reeves, ob das digitale Kino das Ende des fotografischen Films darstellt.

Hierzu holte sich Reeves als Talking Heads diejenigen Menschen ins Boot, die wissen, ob nach 100 Jahren fotografischen Films dessen Ende eingeläutet wird: die Regisseure und Kameraleute von Hollywood. Fehlen dürfen hierbei weder Christopher Nolan und Wally Pfister, noch Danny Boyle und Anthony Dod Mantle. Auch Steven Soderbergh, David Fincher, Robert Rodriguez, Martin Scorsese und die Wachowskis sind vertreten – genauso wie die beiden CGI-Afficionados George Lucas und James Cameron. “It’s the reinvention of a new medium”, sagt Scorsese über das digitale Kino und nennt es “exciting”. Es zeigt sich relativ schnell, welche Filmschaffenden auf welcher Seite der fototechnischen Trennlinie stehen.

Befürworter der digitalen Kameras heben hervor, dass direkt vor Ort das gedrehte Material gesichtet werden könne. So sieht er, ob er mehr Hintergrundlicht braucht oder nicht, argumentiert George Lucas. “They fool themselves”, winkt dagegen Christopher Nolan ab. Schließlich sei der Bildschirm, auf dem das Material gecheckt wird, nicht identisch mit jenen Leinwänden, auf die der Film später projiziert wird. “Everybody’s just looking at their hair”, unkt dagegen Joel Schumacher. Aber es gibt noch weitere Vorteile, darunter die Finanzen. Die digitalen Kameras sind handlicher und billiger, Letzteres ermöglicht gleichzeitig größere kreative Freiheit. Entsprechend nutzte die Dogma 95-Bewegung digitale Kameras.

Thomas Vinterbergs Festen war einer der ersten Filme, der so gedreht wurde – von Anthony Dod Mantle, der seither für Danny Boyle 28 Days Later und Slumdog Millionaireinszenierte. Auch Boyle nutzte digitale Kameras für seinen Zombie-Film, um die Eröffnungsszene im verlassenen London mit zehn Kameras gleichzeitig drehen zu können. “Cos they were so cheap”, erklärt der Oscarpreisträger. Reeves und Kenneally zeigen auf, wie beide Filmformate aufzeichnen und funktionieren, während Side By Side die Geschichte der HD-Kameras im Kino nachverfolgt. Von der Sony F900 (1920 Pixel) bei Attack of the Clones über die RED One (4096 Pixel) bis hin zur aktuellen RED Epic mit einer beachtlichen Auflösung von 5K.

“This is the future”, proklamiert Steven Soderbergh. “You got to be part of that”, drängt Robert Rodriguez und James Cameron ist sich sicher: “It’s only a matter of time”. Auch David Lynch ist fertig mit fotografischem Film und zählt damit zur Mehrheit in dieser Dokumentation. Die hätte einige Nostalgiker mehr wie Nolan und Pfister durchaus vertragen können, während sie zugleich im späteren Verlauf leicht abdriftet. Kenneally streift die Rolle der Farbkorrektur im Film, O Brother, Where Art Thou? wird als Beispiel genannt, wo jedes Bild einen Spezialeffekt besitzt, da die Farben der Bilder von Roger Deakins verändert wurden. Auch die Kinoprojektoren, so erfahren wir, beeinflussen das finale Ergebnis.

Irgendwann wird über 3D diskutiert (“I hate 3D”, sagt Wally Pfister, “it’s a marketing fucking scheme”) und der Kampf zwischen digitalem und klassischem Kino ist längst entschieden. Was etwas schade ist, aber über einen Großteil der Laufzeit dank der namhaften und erfahrenen Gesprächspartner (seltsamerweise auch Lena Dunham und Greta Gerwig) stets interessant. “There’s something really romantic about [shooting on film]”, hatte Kamerafrau Reed Morano zu Beginn von Side By Side ein Plädoyer abgegeben. Außer Nolan, Pfister und ihr hat jedoch keiner wirklich dafür argumentiert. Scheinbar hätten sie alle ebenfalls lieber ihre ersten filmischen Schritte mit einem iPhone gemacht, statt auf Super 8.

7/10

Iron Man 3

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Heroes – there is no such thing.

Die perfekte Tagline für einen Film von Shane Black wäre wohl dem Kaiser entlehnt: „Ja ist denn heut scho Weihnachten?!“ Immerhin spielten bisher vier seiner sieben Drehbücher zur Festtagszeit im Dezember, von Lethal Weapon bis hin zu Kiss Kiss Bang Bang. Auch Kidnapping ist ein wiederkehrendes Motiv in seinen Geschichten, weshalb es also nicht überrascht, dass in Blacks zweitem Film als Regisseur, Iron Man 3, ein Kidnapping in der Weihnachtszeit integriert ist. Auch sonst ist der dritte Teil um den narzisstischen Helden Tony Stark spürbar eine Schöpfung seines Regisseurs, was sich nicht zuletzt an dem Humor dieser Comicverfilmung zeigt, der sich selbst in den dramatischsten Momenten nicht zurückhält.

Inhaltlich knüpft Iron Man 3 an die Ereignisse aus Avengers an. Einige Monate nach der Alien-Invasion in New York und seinem Nahtoderlebnis suchen Tony Stark (Robert Downey Jr.) verstärkt Panikattacken heim. Umso ungeschickter kommt ihm der wahnsinnige Terrorist Mandarin (Ben Kingsley), der Exekutionen und Bombenanschläge inszeniert, um eine Rechnung mit dem US-Präsidenten zu begleichen. Als es Stark zu blöd wird und er Mandarin vor laufenden Kameras zur Privatfehde reizt, löst der schwerreiche Playboy eine Ereigniskette aus, die nicht nur sein Leben und das seiner Freundin Pepper Potts (Gwyneth Paltrow) gefährdet, sondern die ihren Ursprung wie sich zeigt in Starks eigener Vergangenheit hat.

Dabei bleibt auch der dritte Teil den Themen der Reihe treu, wenn mal wieder Tony Starks Sterblichkeit im Zentrum steht und es diese für unseren Helden zu akzeptieren gilt. Dies mag zwar nicht immer vollends nachvollziehbar sein, da Starks zynische Frohnatur am Ende von Avengers nicht den Eindruck machte, sonderlich von dem Erlebten mitgenommen zu sein. Allerdings etablierte bereits Iron Man 2, dass Stark im Angesicht des Todes durchaus bereit ist, seine Maske fallen zu lassen. Hinzu kommt, dass hier diejenigen Menschen die Konsequenzen für Starks Handeln tragen müssen, die ihm am nahesten stehen. Zum einen ist das natürlich Pepper, zum anderen sein Freund und Bodyguard Happy Hogan (Jon Favreau).

Beide bekommen dieses Mal weitaus mehr zu tun als in den Vorgängern. Gerade Paltrows Rolle gewinnt an Verantwortung und Bedeutung – nicht nur für Tony Stark. Aber auch Don Cheadle, der von War Machine zu Iron Patriot wird, darf – wenn auch erst im Finale – endlich präsenter sein. Es ist dabei so überraschend wie erfreulich, dass sowohl Iron Man als auch Iron Patriot hinter Tony Stark und Rhodey zurückstehen. Das wiederum verleiht Iron Man 3 auch aufgrund der Hautfarbe der beiden Charaktere eine kaum zu leugnende Ähnlichkeit zu anderen Filmen von Black wie Lethal Weapon und Last Boy Scout, auch wenn das Zusammenspiel der Figuren im Finale eher an Blacks Debüt Kiss Kiss Bang Bang erinnert.

An sich wäre der Filmtitel mit Tony Stark treffender gewählt als mit Iron Man 3, denn Downey Jr. verbringt fast den gesamten zweiten und dritten Akt außerhalb seines Anzugs, um sich unter anderem im verschneiten Tennessee mit einem Jungen auf die Suche nach Antworten zu machen. Denn nicht nur Mandarin ist auf der Bildfläche erschienen, auch Starks ehemaliger One-Night-Stand, Botanikerin Maya Hansen (Rebecca Hall), der von Stark ignorierte Wissenschaftler Aldrich Killian (Guy Pearce) und dessen Regenerations-Virus „Extremis“ sowie die von Extremis zu Supersoldaten umfunktionierten Veteranen rund um Eric Savin (James Badge Dale) verlangen die Aufmerksamkeit unseres Superhelden.

Sowohl die Darstellung von Pearce als Aldrich Killian als auch Ben Kingsleys Porträt des Mandarin sind dabei für Fans gewöhnungsbedürftig. Gerade der Mandarin erscheint als eine Art Phönix aus der Asche des Nichts, ein Terrorist der Marke Osama bin Laden, ohne Skrupel und ethische Moral. So hat es zumindest den Anschein, doch Black hat für Iron Mans Nemesis eine ganz besondere Rolle in diesem Trilogieabschluss vorgesehen. Pearce hingegen gibt einen eher gewöhnlichen Bösewicht, auch wenn sein verrückter Wissenschaftler alles andere als gewöhnlich ist. Rebecca Hall hingegen wirkt etwas brachliegend, ist ihre ambivalente Maya Hansen doch eine der blassesten und unausgereifsten Figuren.

Vollends stimmig gerät das Endergebnis also nicht. Wie bisher leiden die Marvel-Filme unter ihren schwachen Antagonisten. Zumindest kriegt es Iron Man in diesem Fall nicht erneut mit einem Bösewicht in einem Iron Man-ähnlichen Anzug zu tun, sein diesmaliger Gegenspieler und die Supersoldaten erreichen trotzdem ein ganz neues Level der Lächerlichkeit, speziell in einer mehr als absurden Szene. Ohnehin sind Supersoldaten nicht erst seit der finalen Staffel von X Files eine eher delikate Angelegenheit, allerdings sind sie in Iron Man 3 glücklicherweise nur Mittel zum Zweck. Die Handlung ist in diesem Fall zweitrangig, weshalb man sich auch nicht wundern sollte, dass S.H.I.E.L.D. durch Abwesenheit glänzt.

Dabei hätte man gedacht, Angriffe auf ein Avengers-Mitglied oder den US-Präsidenten würden Nick Fury veranlassen, zumindest Maria Hill auszusenden. Stattdessen ist Stark auf sich allein gestellt – mit hilfreicher Unterstützung seiner künstlichen Intelligenz JARVIS und Anzüge. Diese geraten nunmehr buchstäblich zu solchen, kann Stark doch nach Belieben aus ihnen schlüpfen (in einer Szene „parkt“ er einen außerhalb eines Bistros) oder Elemente von ihnen per Fernsteuerung überstreifen und lenken. Das Ganze garantiert speziell im ersten Akt einige Lacher im Publikum und ohnehin liegt der Fokus von Iron Man 3 nicht nur auf Starks Katharsis, sondern auch auf deren humorvoller Darbietung.

Blacks bissiger Witz kommt perfekt zum Tragen und kaum jemand eignet sich für den Vortrag von Blacks Zeilen besser als Downey Jr. Selbst der zweite Akt und Starks ausgiebige Interaktion mit einem zehnjährigen Jungen gerät so zum amüsanten Fest der Dialoge, aber auch die so namen- wie charakterlosen Handlanger im dritten Akt dürfen einige so grandios-authentische Sätze von sich geben, dass sie fast die vierte Wand durchbrechen. Somit verspricht Iron Man 3 trotz einiger Logik-Planstellen im Extremis-Handlungsstrang und der generellen Darstellungsschwäche der Antagonisten eine über weite Strecken höchst vergnügliche Action-Komödie, die nicht nur der bisher gelungenste Teil der Iron Man-Reihe ist, sondern sich auch wunderbar in das Œuvre von Shane Black einfügt.

6/10– erschienen bei Wicked-Vision

Filmtagebuch: April 2013

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IL BUONO, IL BRUTTO, IL CATTIVO[ZWEI GLORREICHE HALUNKEN]
(I/S/D 1966, Sergio Leone)
8/10

C’ERA UNA VOLTA IL WEST[SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD]
(I/USA 1968, Sergio Leone)
10/10

DARK SHADOWS
(USA 2012, Tim Burton)
3.5/10

DIE HARD[STIRB LANGSAM]
(USA 1988, John McTiernan)

9/10

ENEMY MINE
(USA 1985, Wolfgang Petersen)
6/10

LE GRAND SOIR[DER TAG WIRD KOMMEN]
(F/B/D 2012, Gustave de Kervern/Benoît Delépine)
1.5/10

IRON MAN
(USA 2007, Jon Favreau)
5.5/10

IRON MAN 2
(USA 2009, Jon Favreau)
4/10

IRON MAN 3
(USA 2013, Shane Black)
6/10

JACK REACHER
(USA 2012, Christopher McQuarrie)
5/10

JONAS
(D 2011, Robert Wilde)
5.5/10

LÉON
(USA 1994, Luc Besson)
9/10

MEET JOE BLACK[RENDEZVOUS MIT JOE BLACK]
(USA 1998, Martin Brest)

8.5/10

PASSION
(F/D 2012, Brian De Palma)
5.5/10

PER QUALCHE DOLLARO IN PIÙ[FÜR EIN PAAR DOLLAR MEHR]
(I/S/D 1965, Sergio Leone)

7.5/10

PER UN PUGNO DI DOLLARI[FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR]
(I/S/D 1964, Sergio Leone)

7/10

PLANÈTE OCÉAN
(F 2012,Yann Arthus-Bertrand/Michael Pitiot)
7.5/10

QUANTUM OF SOLACE[JAMES BOND 007 - EIN QUANTUM TROST]
(UK/USA 2008, Marc Forster)
4/10

RED EYE
(USA 2005, Wes Craven)
4/10

THE SHIELD - SEASON 1
(USA 2002, Clark Johnson u.a.)
7.5/10

THE SHIELD - SEASON 2
(USA 2003, Scott Brazil u.a.)
7/10

THE SHIELD - SEASON 3
(USA 2004, Scott Brazil u.a.)
7.5/10

THE SHIELD - SEASON 4
(USA 2005, Scott Brazil u.a.)
7/10

SIDE BY SIDE
(USA 2012, Chris Kenneally)
7/10

SKYFALL[JAMES BOND 007 - SKYFALL]
(UK/USA 2012, Sam Mendes)

4.5/10

STARLET
(USA 2013, Sean Baker)
6.5/10

STOKER
(USA/UK 2013, Park Chan-wook)
8.5/10

THE TERMINATOR
(UK/USA 1984, James Cameron)
8.5/10

TOMCATS
(USA 2001, Gregory Poirier)
2.5/10

Stoker

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We are not responsible for what we have come to be.

In der Regel führen schwarze Listen Personen, die in irgendeiner Form benachteiligt werden sollen. Berühmt wurde die Hollywood Blacklist, die Filmschaffenden Mitte des 20. Jahrhunderts aufgrund „unamerikanischer Umtriebe“ die Arbeit verbot. Alles andere als eine Negativliste ist dagegen die Black List in Hollywood, die seit 2004 jährlich jene Drehbücher auflistet, die vielversprechend, aber noch unproduziert sind. Vor vier Jahren landete Aaron Sorkins Skript für The Social Network auf der Black List, 2010 war unter anderem Argo, dieses Jahr Oscarpreisträger, darunter. Noch vor ihm war dabei Stoker gelandet, das Drehbuch-Debüt von Schauspieler Wentworth Miller, das im vergangenen Jahr verfilmt wurde.

Hierbei fungierte es zugleich als englischsprachiges Regiedebüt von Park Chan-wook und erzählt die Geschichte der adoleszenten India (Mia Wasikowska), deren Vater an ihrem 18. Geburtstag durch einen Unfall stirbt. Zu seiner Beerdigung erscheint auch sein jüngerer Bruder Charlie (Matthew Goode), von dessen Existenz India bisher nichts wusste. Er quartiert sich bei ihr und ihrer Mutter Evelyn (Nicole Kidman) ein, auf beide Frauen einen besonderen Reiz ausübend. Während speziell ihre Mutter immer mehr Onkel Charlie verfällt, ist dieser India weitaus suspekter. Als sie ihrer Gefühlsgemengelage schließlich nachgibt, stößt sie nicht nur auf ein dunkles Geheimnis über ihren Onkel, sondern auch über sich selbst.

Miller greift für sein Debüt, daraus hat er keinerlei Hehl gemacht, auf Alfred Hitchcocks Plot aus Shadow of a Doubt zurück. Ein Onkel Charlie erscheint auf der Matte und stellt sich als Serienmörder heraus, über dessen Geheimnis seine Nichte informiert ist. Dennoch ist Stoker nicht einfach nur nachgeäfft, sondern bewegt sich spätestens im zweiten Akt in eine andere, eigenständige Richtung. Alle drei Figuren des Films sind mehr oder weniger in sich zurückgezogen. Die Körperkontakt ablehnende India ist dabei so verquer und schrullig wie jene Rollen, die Winona Ryder in den achtziger Jahren zu spielen pflegte. Eine Beziehung zu ihrer Mutter ist im Grunde nicht existent, ihre einzige Bezugsperson war ihr Vater.

In welche Richtung sich der Film ab dem zweiten Akt bewegt, ist ebenso wenig überraschend wie sein weiterer Verlauf vorhersehbar. Durch das Erscheinen von Charlie erhält das Leben von India eine Richtung, die sie vielleicht zuvor erahnt haben könnte, ohne sie jedoch genau zu wissen. Stoker ist somit weniger Krimi und auch nicht wirklich Horror, sondern letztlich Coming of Age-Film der als soziale Außenseiterin gebrandmarkten Hauptfigur. “I’m not formed by things that are of myself alone”, verrät uns India per Voice-Over zu Beginn in einer Eröffnungsszene, die zum Schluss eine perfekte narrative Klammer erhält. Ohnehin, und das zeichnet Parks US-Debüt aus, ist Stoker ein einziger audiovisueller Hochgenuss.

Das soll Millers Leistung keineswegs schmälern, dessen Geschichte über die gesamte Laufzeit hinweg dank ihrer spannenden Figuren interessiert, doch was man am Ende von Stoker mitnimmt, ist mehr die Verpackung des Geschenks als dieses selbst. Parks Mise-en-scène und Bildkomposition ist grandios, zahlreiche Bilder, Farbmotive und Schnitte einfach nur bewundernswert. Womöglich sah kein Film des Südkoreaners bisher besser aus als dieser, der durch eine harmonische musikalische Untermalung abgerundet wird. Sei es der Soundtrack von Clint Mansell als solcher, die von Philip Glass komponierten Piano-Duette oder Emily Wells’ kongenial den Schluss in den Abspann überleitendes „Becomes the Color“.

Insofern ist Parks jüngster Film ein wahres Gedicht, die Handschrift seines Regisseurs tragend und dabei zugleich Hitchcock auf Dexter treffen lassend, in dem die Besetzung sekundär ist, aber dennoch überzeugend spielt. Sowohl Wasikowska als auch Goode sind punktgenau besetzt, sie die mädchenhafte Identitätssuchende, er der lächelnde Mysteriöse. Auch Kidman gefällt hier in einer ihrer zuletzt so häufig gewählten Rollen als bitchiges Miststück mit Herz. Stoker ist ein rundum gelungener Film und ein sehenswertes transpazifisches Debüt von Park. Der Regisseur soll als nächstes für Hollywood den Western The Brigands of Rattleborge verfilmen – und der war wiederum der meistvotierte „Black List“-Film von 2006.

8.5/10

Stoker | Starlet | Smashed | Star Trek Into Darkness

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Es kommt nicht jede Woche vor, dass ich von den aktuellen Filmstarts die namhaftesten Vertreter vorab gesehen habe. An diesem Donnerstag war dies der Fall, mit dem Blockbuster Star Trek Into Darkness von J.J. Abrams als Frontrunner, dem Arthouse-Horror Stoker von Park Chan-wook als Schmankerl und den Indie-Filmen Starlet von Sean Baker und Smashed von James Ponsoldt. Abrams zweites Abenteuer auf der Enterprise ist dabei eine durchwachsene Angelegenheit, deren erster Akt sich in Repetition des Vorgängers verliert, während der dritte Akt zur fehlplatzierten Serien-Hommage avanciert. Lediglich das Mittelstück gefällt.

Stoker ist hingegen ein audiovisueller Augenschmaus, dessen Story vielleicht keine Bäume ausreißt, aber dennoch unterhält - auch dank des überzeugenden Ensembles. Luftig-leicht kommt derweil Starlet daher, eine Mumblecore-Nachgeburt über eine verträumte Jungschauspielerin, die sich mit einer alten Witwe anfreundet - perfekt für verregnete Sonntage. Abraten lässt sich dagegen von Smashed, einem 0815-Drama einer Alkoholikerin, die beschließt, trocken zu werden. Mary Elizabeth Winstead verliert sich mehr als einmal im overacting und nicht mal Nick ‘Ron-fucking-Swanson’ Offerman vermag hier viel zu retten. Zu den ausführlichen Kritiken gelangt man jeweils per Link über die Szenenbilder (obschon Smashed lediglich auf Twitter führt). Also ab ins Kino mit euch!

Les lèvres rouges [Blut an den Lippen]

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How does this story end?

Ein Wort das sich wohl unweigerlich mit dem Vampirismus verbindet ist: Sex. Erotische Figuren, blanke Hälse, pulsierendes Blut. Kein Wunder passt True Blood so exquisit zum Blankzieh-Sender HBO und was heute in Form der Twilight-Filme oder der TV-Serie The Vampire Diaries allenfalls zugeknöpft-prüde daherkommt, avancierte schon bei Harry Kümel Anfang der 1970er Jahre zur Horror-Sexploitation in dessen zweitem Spielfilm Les lèvres rouges (dt. Die roten Lippen) – international bekannt als Daughters of Darkness. Jahrelang in Deutschland indiziert, veröffentlicht das kleine beachtenswerte Label Bildstörung das von manchen als Kult-Klassiker gefeierte Horror-Poem nun mit einer Freigabe ab 16 auf Blu-ray und DVD.

Seiner Zeit brachte es Les lèvres rouges gerade international zu Ruhm, der Film füllte an seinem Startwochenende die Pariser Kinos und das Hollywood-Fachmagazin Variety nannte ihn damals “so intentionally perverse that it often slips into impure camp”. Beide Attribute sind sicher der damaligen Zeit geschuldet, wirkt Kümels Film 42 Jahre nach seiner Premiere weder pervers noch sonderlich theatralisch. Vielmehr erzählt der Belgier eine faszinierend gefilmte Geschichte über Liebe, Macht und Lust der vier Protagonisten im mondänen Schauplatz eines leeren, feudalen Luxus-Hotels im Küstenort Ostenende. Innerhalb von 72 Stunden werden drei dieser Personen sterben, die Vierte wiederum “will live… forever”.

So kündigte einer der Radiospots den als Vampir-Erotik vermarkteten Film damals an. Zu Beginn reist ein vor wenigen Stunden vermähltes Paar, der vermeintlich adelige Stefan (John Karlen) und die bürgerliche Valerie (Danielle Ouimet), im Zug gen England. Als es auf den Gleisen zu Komplikationen kommt, steigen sie in einem Luxus-Hotel in Ostenende unter. Dieses ist dank der winterlichen Saison vollkommen leer, doch bereits am selben Abend kündigen sich mit der Gräfin Elizabeth Bathory (Delphine Seyrig) und ihrer Zofe Ilona (Andrea Rau) weitere Gäste an. Die entwickeln bald ein wachsendes Interesse an dem jungen Paar, das wiederum auf eine Mordserie im benachbarten Brügge aufmerksam wird.

Dort fanden sich in einer Woche vier junge Frauen mit durchgeschnittener Kehle. “No trace of blood”, lässt ein scheinbarer Anwohner, der sich später als pensionierter Polizist (Georges Jamin) entpuppt, das Paar beim Fund der vierten Leiche wissen. “It gave you pleasure”, bemerkt Valerie die Erregung Stefans beim Anblick des Leichnams. Und während Stefan immer aufgewühlter reagiert, wecken die Ereignisse Erinnerungen bei den anderen Beteiligten. “Those Bruges murders are rather special”, deutet der Polizist am Abend im Hotel an. “One might say… classic.” Er erinnert sich an einen ähnlichen Vorfall einige Jahrzehnte zuvor. Und nicht nur er hat ein Déjà-vu-Erlebnis, sondern auch Concierge Pierre (Paul Esser).

“It seems to me that Madame has already stayed at this hotel”, bemerkt er entgeistert als die Gräfin eincheckt. “It was such a long time ago and Madame looks exactly like the lady who must have changed a great deal since.” Die jung gebliebene Adelige erwidert kokett, dass es sich um ihre Mutter gehandelt haben muss – eine These, die auch Stefan gegenüber Pierre in den Raum wirft. Für sich selber entwirft Bathory gegen Ende eine eigene, keinesfalls unpassende Beschreibung: “You know, the beautiful stranger – slightly sad, slightly mysterious”. Die schöne Blondine will lediglich geliebt werden, was einerseits ihre Zofe Ilona erklärt, anderseits ihr aufkommendes Interesse an Stefan und insbesondere Valerie.

Mit dem klassischen Vampirfilm hat Les lèvres rouges nur bedingt etwas zu tun, dass es sich bei der Gräfin Bathory und Ilona um Vampire handelt, ist hier lediglich Detail und Erklärung für das jugendliche Erscheinungsbild der Gräfin. Es gibt keine exponierten Eckzähne und die Scheu vor Sonnenlicht wird nur am Rande erwähnt, vielmehr arbeitet Seyrigs Protagonistin auf einem psychologischen Level und mittels Erotik. Im Vordergrund steht jedoch der Kampf um Valerie, der hier personifizierten Unschuld. Im Abhängigkeitsverhältnis zu Stefan stehend, will sie die Gräfin unter ihre Fittiche nehmen. Darin wiederum sieht die leblose Ilona ihre Chance, aus ihrer eigenen Abhängigkeit von der einnehmenden Gräfin zu entkommen.

“I don’t know what’s going to happen to any of us”, heißt es an einer Stelle von der schmollmündigen Brünetten ominös. Und wie der Radiospot vorwegnahm, bleibt es nicht bei den vier Leichen in Brügge. Viel gewinnt Kümels Film hier aus seinem Schauplatz des verlassenen Hotels in all seiner Mondänität, aber auch aus der Farbpalette, auf die der Belgier zurückgreift. Dabei ist Rot vorherrschend, von den Kleidungsstücken der Figuren (u.a. Stefans Pullover und Bademantel, aber auch das Kleid der Gräfin) bis hin zu dem Auto der Gräfin und ihren sowie Ilonas Lippen. In der Tat ist das erste, was wir von der Gräfin sehen, ihr rot bemalter Mund. Ergänzt wird das Farbbild zusätzlich primär von Weiß und Schwarz.

So viel Zeit sich Les lèvres rouges zuerst auch nimmt, im Schlussakt überschlagen sich die Ereignisse dann. Und ein Subplot über Valeries Bestreben, mit Stefan dessen Mutter in England zu besuchen (die von der Hochzeit nichts ahnt und ihre eigenen Geheimnisse besitzt), dient zwar der Charakterzeichnung von Stefan – der sich als Unterwürfiger in seiner Ehe zu Valerie Dominanz verspricht –, wirkt aufgrund der Geschehnisse zu Beginn des finalen Akts aber verloren. Kümel präsentiert also eine Geschichte von Getriebenen, sei es die nach Jugend lechzende Gräfin, der nach Macht lüsterne Stefan, die nach Liebe suchende Valerie, die Freiheitsstrebende Ilona oder der sich Aufklärung wünschende Polizist.

Unbestrittener Star des Films ist dabei die mysteriös-erotische Delphine Seyrig, zehn Jahre zuvor bekannt geworden durch L’Année dernière à Marienbad ihres Mannes Alain Resnais. Dagegen hinterlässt speziell Danielle Oiumet, ehemalige Miss Quebec, kaum Eindruck. Die träumerisch-verspielte Musik stellt sich dabei wie Kümels Mise-en-scène ganz in den Dienst des Films. Somit ist Les lèvres rouges ein atmosphärisches Werk geworden, das als „Horror-Sexploitation“ zu beschreiben wohl zuviel des Guten wäre. Dafür sind die beiden Sexszenen zu ästhetisch inszeniert und die Handlung aus heutiger Sicht mehr Drama denn Horror. Erotisch ist das Ganze aber allemal – und wen wundert’s, es ist ja auch ein Vampirfilm.

7.5/10

Blu-ray
Das Bild der Blu-ray überzeugt vor allem in den gut ausgeleuchteten Szenen des Films, während es in „Nachtszenen“ (gedreht wurde im Day-for-Night-Verfahren) bisweilen Detailschwächen im Schwarzbereich gibt. Ebenso zufriedenstellend ist die klar verständliche Mono-Tonspur. Neben der ungeschnittenen Fassung des Films ist die umgeschnittene und teils sinnentstellende deutsche Kinofassung enthalten. Zudem Interviews und ein Audiokommentar mit Harry Kümel in deutscher Sprache, eine kommentierte Bildergalerie sowie der Vorspann für die US-Fassung mit einem leicht trashigen Lied von Jazz-Sängerin Lainie Cooke. Das solide Bonusmaterial wird abgerundet durch das für Bildstörung obligatorische Booklet mit zwei guten Essays über Kümels Schaffen.

Tchoupitoulas

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Life ain’t gonna be always what it seems.

Im Stück Don Karlos lässt Friedrich Schiller den Marquis von Posa die Königin bitten, eine Nachricht an den durch ihn verhafteten Prinzen auszurichten: „Sagen Sie Ihm, daß er für die Träume seiner Jugend soll Achtung tragen, wenn er Mann sein wird“ (IV, 21). Schaut man sich Tchoupitoulas an, die Dokumentation von Bill Ross IV und seines Bruders Turner Ross, verspürt man das Begehren, dies auch dessen jüngstem Protagonisten William auf den Weg mitzugeben. Der afroamerikanische Knabe macht sich an eines Abends mit seinen älteren Brüdern Kentrell und Bryan sowie ihrer Hündin Buttercup auf den Weg ins Nachtleben von New Orleans. “We saw some pretty amazing things”, wird William später sagen.

Einen wirklichen Handlungsbogen besitzt der Film der Gebrüder Ross dabei nicht und doch ist ein roter Faden durch den chronologischen Ablauf der Geschehnisse vorhanden. Mit der Kamera wird ein nächtlicher Ausflug der drei Jugendlichen ins French Quarter begleitet, was den Zuschauer in gewisser Weise zum vierten Bruder werden lässt. Gleichzeitig verliert sich die Kamera bisweilen auch in ihrer Umgebung, besucht eine Gruppe Burlesque-Tänzerinnen, die das einheimische Lied „Iko Iko“ singen und diskutieren, mehrere Straßenmusiker, ein paar Betrunkene oder einen mit seiner älteren Kundschaft flirtenden Austernöffner. Auch die Stimme eines Touristenführers begleitet den Zuschauer hier und da aus dem Off.

Selten hat man einen Film gesehen, der einerseits so harmonisch in seine Umgebung eintaucht und zugleich in dieser Funktion als Türöffner für das Publikum funktioniert. Böte sich hier zusätzlich noch (gutes) 3D an, man wäre wohl wahrhaftig mittendrin statt nur dabei. So verlockend pulsierend das lebendige Nachtleben von The Big Easy ist, im Mittelpunkt stehen dennoch die Erlebnisse der drei „Führer“ und Brüder. “This is everything I hoped for”, schwärmt William an einer Stelle. “Naked pictures, clubs – you guys know what I’m talking about?” Wieso seine Eltern den neunjährigen Knirps mit seinen beiden jugendlichen Brüdern allein bis spät in die Nacht durchs French Quarter bummeln lassen, spielt da keine wirkliche Rolle.

Was Tchoupitoulas vor allem trägt, ist Williams kindliche Begeisterung. “I’d live life like I’d never lived before”, erklärt er seine Zukunftspläne. Zuerst will er ein NFL-Star werden, mit sechs Meisterringen – die er dann alle an einem Finger trägt. Anschließend wird er ein Anwalt und später auch noch Architekt. Und dass er die Fähigkeit zu Fliegen lernt und dafür einen Stern auf dem Walk of Fame erhält, ist sowieso klar. Zudem beschließt der 9-Jährige: “I wanna stay at 21 forever”. Wie es mit Kindern so ist, lechzt es William nach Aufmerksamkeit, vor allem der seiner großen Brüder. Die torpediert er während ihres Ausflugs mit allerlei Fragen, z.B. wie groß sie gerne wären oder was sie bei einem Löwenangriff machen würden.

“Shut up, William”, entgegnen die irgendwann genervt. “You’re asking too many questions.” Es verwundert bei all den Wundern der Nacht nicht, dass die Brüder später die letzte Fähre nach Hause verpassen und bis zum Morgen festsitzen. “I need my beauty sleep”, lamentiert der müde William. Als sie jedoch am Hafen ein altes, verlassenes und dennoch beleuchtetes Kreuzfahrtschiff entdecken, ist es mit seiner Schläfrigkeit schnell dahin. Entgegen des merklichen Widerwillens von Kentrell erkunden sie dessen heruntergekommene Innenräume. Selbst als ihre Nacht der Wunder am Ende schien, stoßen die Brüder also noch auf ein letztes Abenteuer. Ein solches, wie es wohl die meisten in ihrer Jugend erlebt haben dürften.

Mit Tchoupitoulas ist den Ross-Brüdern ein wahrer Erlebnisfilm gelungen, der einerseits natürlich von den drei sympathischen Zanders-Brüdern als Protagonisten lebt, anderseits aber von der magischen Atmosphäre des Nachtlebens von New Orleans. Entgegen der Eindrücke wurde der Film natürlich nicht innerhalb einer einzigen Nacht, sondern über den Verlauf von neun Monaten gedreht. Fiktion und Dokumentation verschwimmen in diesem Fall also zu einem magischen Kunstprodukt. Schließlich hatte bereits Theodor Adorno gesagt, dass Kunst Magie ist, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein. Am Ende entfährt es dem Zuschauer angesichts Tchoupitoulas wie William selbst: “We saw some pretty amazing things”.

8/10

The Great Gatsby

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You can’t repeat the past.

Als Weltliteratur erachtet man Werke, die über die Landesgrenzen des Autors hinaus bekannt und zugleich für die Bevölkerung der Welt bedeutsam sind. Beispielsweise Leo Tolstois Anna Karenina, der Einblicke in Werte wie Ehe und Moral des zaristischen Russlands gibt. Oder F. Scott Fitzgeralds im Jahr 1925 entstandener The Great Gatsby: Oberflächlich betrachtet eine tragische Liebesgeschichte in den wohlhabenden Goldenen Zwanzigern, zugleich aber auch ein Spiegel für die damalige Gesellschaft und ein kritischer Sozialkommentar zur Pervertierung des „American Dream“. Was einst das Streben nach Freiheit und Glück war, verkam in den 1920er Jahren nun zum Streben nach Reichtum und Macht.

Jenen als Klassiker geltenden Roman adaptierte im Vorjahr Baz Luhrmann, Hollywoods Mann für das extravagant Tragische. Zuletzt legte er mit Australia ein episches Genre-Mashup vor, das ein Liebesbrief an seine australische Heimat war, eingebettet in den Zweiten Weltkrieg. Dennoch ähnelt The Great Gatsby eher Moulin Rouge!, Luhrmanns Abschluss seiner Red Curtain-Trilogie von 2001. Hier wie da beginnt der Film mit einem verlorenen wirkenden Schriftsteller, der ein miterlebtes Liebestrauma per Schreibmaschine zu Papier bringen muss. Die Geschichte einer Liebe, korrumpiert von Macht und der Lust nach Reichtum. Führte in Moulin Rouge! Ewan McGregor durch den Film, ist es hier nun Tobey Maguire.

Er schlüpft in die Rolle von Nick Carraway, der zu Beginn der Handlung ein kleines Anwesen in Long Island anmietet, weil er sich in New York City als Börsenspekulant versuchen will. Direkt nebenan wohnt wiederum der mysteriöse Millionär Jay Gatsby (Leonardo DiCaprio), Mittelpunkt zahlreicher obskurer Gerüchte und zudem Gastgeber pompös-glamouröser Festivitäten am Wochenende. Zu einer dieser Partys wird Carraway eines Tages eingeladen und freundet sich daraufhin mit dem jungen Millionär an. Der hat jedoch eine Bitte: Carraway möge seine Cousine Daisy Buchanan (Carey Mulligan) zum Tee einladen. Mit ihr unterhielt Gatsby fünf Jahre zuvor eine Affäre, ehe der Erste Weltkrieg die Beiden trennte.

Daisy heiratete anschließend den Millionär Tom Buchanan (Joel Edgerton) und bewohnt die dekadente Villa gegenüber von Gatsby – getrennt durch das tosende Gewässer. Während ihr Gatte Affären unterhält, zum Beispiel zur Automechanikergattin Myrtle (kaum wiederzuerkennen: Isla Fisher), vertreibt sich Daisy die Zeit mit ihrer Freundin Jordan Baker (Elizabeth Debicki). In jene Welt der Schönen und Reichen sowie ihrer dubiosen Machenschaften und Affären wird nun Carraway geworfen, ein Platzhalter für das Publikum. Er fungiert zuerst als Cupidus, der die ehemaligen Liebenden wieder zusammenführt, zusätzlich ist er für Tom wie Daisy und Gatsby ein begleitender Vorwand zur Kaschierung des Ehebruchs.

Eine derartig glamouröse Welt wie die des Long Islands von 1922 ist natürlich wie geschaffen für einen Mann wie Baz Luhrmann. Speziell im ersten Akt feiert der Australier den Prunk und Protz der Jazz Ära. Während Gatsbys Anwesen zum wilden Party-Palast wird – dessen einziger Sinn und Zweck es ist, Daisy anzulocken –, stellt die Villa der Buchanans gerade auch visuell das Artifizielle der Welt von Daisy dar. Alle Farben fallen so knallig aus, dass einen das Grün des perfekt symmetrisch geschnittenen Rasens fast schon blendet. Eine perfekte Welt für unperfekte Menschen und zugleich Gegenentwurf zu den damaligen Corona Ash Dumps und heutigen Flushing Meadows – dem größten Park im Stadtteil Queens.

Es ist irgendwie passend, dass es Tom gerade hierhin verschlägt, um mit Myrtle eine Flamme aus der Arbeiterklasse aufzureißen, deren Ehemann (Jason Clarke) von all dem nichts ahnt. Die Wunder jener Welt der Buchanans, Bakers und Gatsbys werden Carraway ähnlich wie McGregors Christian in Moulin Rouge! mittels anachronistischer Verwendung von Gegenwartsmusik vermittelt. Da swingen dann Jay-Z (zugleich einer der Produzenten des Films), Gattin Beyoncé sowie Fergie und will.i.am durch die Lautsprecher, während Newcomerin Lana Del Rey mit „Young and Beautiful“ ein traurig-schön-melancholisches Herz-Schmerz-Lied (“Will you still love me when I’m no longer young and beautiful?”) trällern darf.

Das alles ist natürlich herausragend inszeniert, wenn Gatsby zu Begin nur andeutungsweise zu sehen ist, Carraway in einem Meer aus weißen Vorhängen Daisy wieder trifft oder diese sich begeistert einem Regen von edelsten Hemden aus Gatsbys Kleidersammlung unterwirft. Das Glanz und Gloria der damaligen Zeit, die Dekadenz dieser von Fitzgerald beschriebenen Welt – sie sind der eigentliche Star von The Great Gatsby. Denn die Charaktere bleiben nie mehr als reine Figuren, die zumeist hohle Phrasen vor sich hin seufzen. “He gives large parties, and I like large parties”, offenbart Jordan Baker zu Beginn über Gatsbys wöchentliche Gratis-Feste. “They’re so intimate. Small parties, there isn’t any privacy.”

Unterdessen verliert sich DiCaprio in der unzähligen Verwendung der Floskel “old sport” und Mulligans Daisy in den Untiefen der Dummheit ihrer Figur. “That’s the best thing a girl can be in this world, a beautiful little fool”, hofft sie für ihre kleine Tochter, die bis zum Ende die gesamte Dauer des Films in der Obhut des Kindermädchens verbringen darf. Weder kann sich ihre Figur zwischen Gatsby und Tom entscheiden, noch scheint sie überhaupt zu wissen, was sie will. Da Maguires Rolle lediglich die des Beobachters ist, darf Gatsby noch als interessantester Charakter erachtet werden. Insbesondere wenn sich im dritten Akt herausstellt, was es alles beinhaltet, Jay Gatsby zu sein und worin dies seinen Ursprung hat.

The Great Gatsby ist ein Fest für die Sinne und trotz seiner fast zweieinhalb Stunden sehr kurzweilig. Bedauerlich ist, dass der Film nach seinem ersten, an Moulin Rouge! erinnernden, Akt für den Fortlauf der Handlung mehr und mehr auf Australia-Niveau fällt. Was an sich nicht schlimm ist, allerdings vor Augen führt, dass hier noch mehr für Luhrmann herauszuholen gewesen wäre. Und sicher gab es schon originellere und lebendigere Figuren als hier, beides ist jedoch Fitzgeralds Roman geschuldet. Dessen Bedeutung als sozialkritischen Blick zur Pervertierung des „American Dream“ wird Luhrmanns Adaption aber durchaus gerecht. Gewohnt großes Kino also vom Mann fürs extravagant Tragische.

7.5/10

Media Monday #100 - Jubiläumsausgabe

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Nach einigen Wochen Abstinenz lasse ich es mir natürlich nicht nehmen, mich an der 100. Ausgabe des Media Monday vom Medienjournal zu beteiligen. Mit welcher Kontinuität Wulf und seine Teilnehmer diesen wöchentlich durchführen ist so beachtlich wie lobenswert. Entsprechend will auch ich mich wieder mal den sieben Fragen zum Wochenauftakt stellen:

1. Nicht nur beim Media Monday kommt der Schauspieler Robert Sheehan regelmäßig zu kurz, denn trotz seiner - sprichwörtlich - unsterblichen Rolle als Nathan in der herrlichen Serie Misfits scheint dem Iren der Durchbruch bisher leider noch verwehrt.

2. RegisseurIn David Cronenberg wäre meiner Meinung nach prädestiniert, um Franz Kafkas „Die Verwandlung“ zu verfilmen, denn wenn einer die Transformation von Gregor Samsa in einen Käfer als exzellenten Body-Horror rüberbringt, dann wohl höchstens The Fly-Schöpfer Cronenberg - der König des New Flesh.

3. Schauspielerin Megan Fox mag berühmt sein, meines Erachtens nach aber mehr aufgrund körperlicher Reize als ihres schauspielerischen Talents wegen, denn selbst wenn sie nicht nur als reine Fleischschau wie in Transformers gecasted wird, hat sie mich bisher mit ihrem Spiel in solchen Filmen wie How to Lose Friends & Alienate People oder zuletzt This Is 40 noch nicht sonderlich vom Hocker gehauen.

4. Am besten am Media Monday gefällt mir, dass er es im Vergleich zu anderen, ähnlichen thematischen Stöckchen geschafft hat, 100 Ausgaben und damit über anderthalb Jahre zu überstehen.

5. WohingegenWeshalb beim Media Monday nichts dringend eine Frischzellenkur vertragen könnte, denn was seit 100 Ausgaben funktioniert, funktioniert. It it ain’t broke, don’t fix it.

6. Dia Antworten von Moviescape/Bullion lese ich meist zuerst, weil der Kollege von Tonight Is Gonna Be a Large One wohl einer meiner treuesten Leser/Follower ist und stets liest und kommentiert was ich hier seit Jahren zu Bits & Bites bringe - da gebührt es schon der Respekt, ihm dieselbe Ehre zu erweisen. Auch die Antworten von Xander landen stets mit als Erste in meinem Feedreader.

7. Was ich den anderen Teilnehmern (oder dem Wulf) schon immer einmal sagen wollte: Respekt. Respekt an Wulf, der es sich nicht nehmen lässt, in eigentlich jeder Nacht von Sonntag auf Montag mit sieben neuen Fragen um die Ecke zu kommen. Was keine Selbstverständlichkeit ist. Und natürlich auch Respekt jenen treuen Stöckleschwingern, die sich Woche um Woche darum balgen, wer als Erste/r den Link in die Kommentare quetscht.

Moulin Rouge!

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A magnificent, opulent, tremendous, stupendous, gargantuan bedazzlement!

In diesem Jahr eröffnete Baz Luhrmanns Adaption von F. Scott Fitzgeralds The Great Gatsby die 66. Filmfestspiele von Cannes – eine Ehre, die ihm bereits 2001 mit Moulin Rouge! zu Teil geworden war. Mit jenem so pompösen wie bildgewaltigen Jukebox-Musical schloss der australische Regisseur zugleich seine “Red Curtain”-Trilogie ab, die er 1992 mit Strictly Ballroom begonnen und vier Jahre später mit William Shakespeare’s Romeo + Juliet fortgesetzt hatte. Dennoch eint Moulin Rouge! vermutlich fast mehr mit Luhrmanns fünftem und jüngstem Leinwandepos, nicht zuletzt dank des Glamours und der anachronistischen Gegenwartsmusik.

Sich bekannter Pop-Musik zu bedienen, um damit ein Musical zu füllen – so etwas hatte es zuvor bereits bei beispielsweise The Blues Brothers gegeben. Eine Liebesgeschichte um die letzte Jahrhundertwende mit David Bowie, Elton John und anderen zu unterlegen, sorgte allerdings 2001 für Aufsehen. Wie in The Great Gatsby dient die populäre Musik für Luhrmann in seinen historischen Filmen als Darstellungsmittel. Im Fall von Moulin Rouge! bringt sie zum Ausdruck, dass Hauptfigur Christian (Ewan McGregor), ein aufstrebender Autor, seiner damaligen Zeit voraus ist, indem er sich der Worte von Künstlern des 20. Jahrhunderts bedient.

McGregors Figur kommt 1899 nach Paris, um sich der Bohème-Bewegung anzuschließen. Entsprechend mietet er sich im Stadtteil Montmartre im Vergnügungsviertel Pigalle des 18. Arrondissements ein, gegenüber des berüchtigten Varietés Moulin Rouge. Seine Inspiration: die Liebe. Sein Problem: “I’ve never been in love”. Abhilfe verspricht das überraschende Auftreten von Henri de Toulouse-Lautrec (John Leguizamo) und seiner Theatergruppe aus dem oberen Stockwerk. Sie planen eine Bühnenshow namens “Spectacular Spectacular” (“It’s set in Switzerland”), die sie Harold Zidler (Jim Broadbent) anbieten wollen, dem Besitzer des Moulin Rouge.

Dieser wiederum plant seine beliebteste Kurtisane Satine (Nicole Kidman) an den Herzog von Monroth (Richard Roxburgh) abzugeben als Ausgleich für dessen finanzielle Unterstützung des Varietès. Am Abend kommt es in dem Etablissement dann jedoch zu einer Verwechslung als Satine während ihrer Performance Christian für den Herzog hält. Ein Gespräch in ihren privaten Gemächern später ist es nach Christians Darbietung von Elton Johns “Your Song” um die rothaarige Kurtisane geschehen. “I can’t fall in love with anybody”, seufzt Satine zwar noch, doch sie und Christian haben sich bereits ineinander verliebt – sehr zum Missfallen von Zidler.

“We’re creatures of the underworld”, erinnert er Satine. “We can’t afford to love.” Auch im Wissen, dass seine geliebte Kurtisane hoffnungslos an Tuberkulose erkrankt ist. Dennoch deckt er ihre junge Liebe, um die Finanzierung durch den Herzog nicht zu gefährden. Der bezahlt, im Glauben so Satines Herz zu erobern, derweil “Spectacular Spectacular”. Moulin Rouge! bedient sich für seine Geschichte bei Handlungselementen aus den Opern La Traviata und La Bohème sowie Jacques Offenbachs Orpheus in der Unterwelt. Daraus wurde laut Baz Luhrmanns Worten im Audiokommentar dann “this very classical, simple story of tragic love”.

Gerade Offenbachs Interpretation von „Orpheus und Eurydike“ durchzieht Moulin Rouge!. Wie Zidler selbst sagt, ordnet er sich und die Prostituierten des Moulin Rouge der Unterwelt zu. Aus jener muss Christian in der Rolle des Orpheus seine Eurydike befreien. “All my life you made me believe I was only worth what somebody would pay for me”, wirft Satine später Zidler vor. Wo sie der Herzog mit Geld zu kaufen versucht, schafft es Christian, sie mit Worten für sich zu gewinnen. “Love lifts us up where we belong”, behauptet er im bombastischen “Elephant Love Medley” und versichert Satine in diesem getreu den Beatles: “All you need is love”.

Im steten Wechsel zwischen Tragik und Komik zieht Luhrmann in seinem dritten Spielfilm dabei sein Melodrama auf. Bewusst folgen auf Szenen, die dem Zuschauer Satines Sterben in Erinnerung rufen, humorvolle Momente. “One hopes that it’s got that feeling of a Warner Bros. cartoon”, sagt der Regisseur im Audiokommentar. Wird der Humor im ersten Akt zuerst aus Toulouse und seinem Bohème-Clan gewonnen, wandert er im zweiten Akt über zur Täuschung des Herzogs (bis hin zu Broadbents und Roxburghs herrlich inszenierter Travestie-Darbietung von Madonnas “Like a Virgin”). Aber das Glück ist – wie könnte es anders sein – nur von kurzer Dauer.

Die Affäre fliegt auf, der Herzog droht Christian umzubringen und Satine wird ihres nahenden Todes gewahr. “Hurt him to save him”, rät ihr daraufhin Zidler. “The show must go on.”Über dem dritten und finalen Akt schwebt natürlich das Musical im Musical: “Spectacular Spectacular”. Die Bollywoodeske Nachinszenierung der vorangegangenen Filmhandlung ist dabei nicht minder pompös wie Luhrmanns eigene Revue, holt diese auf der Zielgeraden vom Ablauf her schließlich ein, um mit ihr zu einer einzigen großen Darbietung zu verschmelzen. Nur: Wo “Spectacular Spectacular” ein Happy End beschert ist, endet Moulin Rouge! tragisch.

Auch hierin gleicht die Geschichte von Satine und Christian der von Romeo und Julia oder von Gatsby und Daisy. Die Liebe der Figuren führt in den Tod. Was bleibt, ist das Drama. Insofern wäre The Great Gatsby wohl eher als Abschluss einer Trilogie zu Romeo + Juliet und Moulin Rouge! geeignet, ähnelt Strictly Ballroom in dem optimistischen Ende für die Liebenden mehr Australia. Dagegen bleibt in Luhrmanns übrigen drei Filmen nur, die Magie jener Liebe und ihren letztendlichen Niedergang als Chronik für folgende Generationen festzuhalten. “For never was a story of more woe than this”, wie der Prinz von Verona in „Romeo und Julia“ abschließend sagt.

Fraglos ist Moulin Rouge! im Speziellen wie ein Film von Baz Luhrmann allgemein nicht jedermanns Sache. Man muss es mögen, wie der Mann aus Oz Tragik und Komik verknüpft und dabei – bewusst – ins Theatralische abdriftet. Dazu kommen knallige Farben, Pomp und Glamour und dann noch The Cardigans unterlegt zum mit bekanntesten Stück des britischen Barden oder eben ein Tango-Sting-Mashup von “Roxanne”. Angesichts all dessen, was Luhrmann und Co. hier jedoch auffahren, von den Kostümen über die Ausstattung, das Bühnenbild und die visuellen Effekte, ist es so erstaunlich wie beachtlich, dass der Film nur 50 Millionen Dollar kostete.

Dennoch steht und fällt dieser als Musical natürlich mit seinem Soundtrack. Wie Baz Luhrmann hier kongenial populäre Lieder einsetzt, sucht dann seinesgleichen. Angefangen mit David Bowies stimmigem “Nature Boy” über die Verwendung von Nirvana hin zur harmonischen Verschmelzung von Marilyn Monroes “Diamonds are a Girl’s Best Friend“ mit Madonnas “Material Girl” und kulminierend im “Elephant Love Medley”, das sich der Textzeilen eines Dutzend Lieder bedient. Eine superbe Song-Symbiose. Insofern ist Moulin Rouge! also nicht nur ein Musical zum Erleben und Anschmachten geworden, sondern allen voran eines zum Mitsingen.

Ein Fest für die Sinne, zweifelsohne Baz Luhrmanns Magnum opus und nicht weniger und nicht mehr als die Mutter aller modernen Film-Musicals. Die acht Oscarnominierungen seiner Zeit waren berechtigt, wenn auch Luhrmann selbst bei den Nominierungen überraschend Ridley Scott für dessen Inszenierung von Black Hawk Down in der Regie-Kategorie den Vortritt lassen musste. Das ändert allerdings nichts daran, dass Moulin Rouge! ein Film für die Ewigkeit geworden ist. Großes, glamouröses Kino. Oder wie es Harold Zidler nannte: “A magnificent, opulent, tremendous, stupendous, gargantuan bedazzlement, a sensual ravishment!”.

10/10

Filmtagebuch: Mai 2013

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AUSTRALIA
(AUS 2008, Baz Luhrmann)
7/10

BERBERIAN SOUND STUDIO
(UK 2012, Peter Strickland)
7/10

THE BIG BANG THEORY - SEASON 6
(USA 2012/13, Mark Cendrowski)
7.5/10

THE BIG FIX
(USA/F/D 2012, Joshua Tickell/Rebecca Harrell Tickell)
5/10

THE CENTRAL PARK FIVE
(USA 2012, Ken Burns/Sarah Burns/David McMahon)
8/10

COMMUNITY - SEASON 4
(USA 2013, Tristram Shapeero u.a.)
7/10

DEAF JAM
(USA 2010, Judy Lieff)
7/10

THE EVIL DEAD[TANZ DER TEUFEL]
(USA 1981, Sam Raimi)

5.5/10

EVIL DEAD
(USA 2013, Fede Alvarez)
5/10

EVIL DEAD II[TANZ DER TEUFEL 2]
(USA 1987, Sam Raimi)

6.5/10

EXAM
(UK 2009, Stuart Hazeldine)
6/10

FAST FIVE[FAST & FURIOUS FIVE]
(USA 2011, Justin Lin)

7.5/10

FAST & FURIOUS[FAST & FURIOUS - NEUES MODELL. ORIGINALTEILE.]
(USA 2009, Justin Lin)

7/10

FAST & FURIOUS 6
(USA 2013, Justin Lin)
6.5/10

GATTACA
(USA 1997, Andrew Niccol)
10/10

GIRLS - SEASON 1
(USA 2012, Lena Dunham)
7/10

THE GREAT GATSBY
(USA 2013, Baz Luhrmann)
7.5/10

HEAT
(USA 1995, Michael Mann)
7/10

LES LÈVRES ROUGES[BLUT AN DEN LIPPEN]
(F/B/D 1971, Harry Kümeli)

7.5/10

MOULIN ROUGE!
(USA 2000, Baz Luhrmann)
10/10

THE OFFICE - SEASON 9
(USA 2012/13, David Rodgers u.a.)
7/10

PARKS AND RECREATION - SEASON 5
(USA 2012/13, Dean Holland u.a.)
7.5/10

PRIMER
(USA 2004, Shane Carruth)
6.5/10

THE SHIELD - SEASON 5
(USA 2006, D.J. Caruso u.a.)
7/10

THE SHIELD - SEASON 6
(USA 2007, Guy Ferland u.a.)
7.5/10

THE SHIELD - SEASON 7
(USA 2008, Gwyneth Horder-Payton u.a.)
7/10

STAR TREK
(USA/D 2009, J.J. Abrams)
4.5/10

STAR TREK INTO DARKNESS
(USA 2013, J.J. Abrams)
5.5/10

TCHOUPITOULAS
(USA 2012, Bill Ross IV/Turner Ross)
8/10

UPSTREAM COLOR
(USA 2013, Shane Carruth)
7/10

YOUTH IN REVOLT
(USA 2009, Miguel Arteta)
5.5/10

Werkschau: Terrence Malick


BADLANDS
(USA 1973, Terrence Malick)
7.5/10

DAYS OF HEAVEN[IN DER GLUT DES SÜDENS]
(USA 1978, Terrence Malick)
7.5/10

THE THIN RED LINE[DER SCHMALE GRAT]
(USA 1998, Terrence Malick)
9/10

THE NEW WORLD
(USA/UK 2005, Terrence Malick)
8/10

THE TREE OF LIFE
(USA 2011, Terrence Malick)
8.5/10

TO THE WONDER
(USA 2012, Terrence Malick)
7/10

Classic Scene: Heat - “That’s the discipline.”

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DIE SZENE: Der ermittelnde Mord-Detektiv Lieutenant Vincent Hanna (Al Pacino) hat den verdächtigen schwerkriminellen Räuber Neil McCauley (Robert De Niro) bei einem vermeintlichen Routinestop auf der Schnellstraße zu dessen Überraschung auf einen Kaffee eingeladen. Im folgenden Gespräch führt Hanna seinem Gegenüber die Ausweglosigkeit seines Unterfangens vor, während beide Männer mit offenen Karten spielen und ihre Motive einander darlegen. Aus Neugier wird Respekt.

EXT. DINER - HANNA + NEIL AT A TABLE
- NIGHT


HANNA: Seven years in Folsom. In the hole for three. McNeil before that.

NEIL nods agreement.

HANNA: McNeil as tough as they say?

NEIL: You looking to become a penologist?

HANNA: You looking to go back? You know, I chase down some crews... guys just looking to fuck up, get busted back. That you?

NEIL: You must’ve worked some dipshit crews.

HANNA: I worked all kinds.

NEIL (pause): You see me doing thrill-seeking liquor-store holdups with a “Born to Lose” tattoo on my chest?

HANNA: No, I do not.

NEIL: Right. I am never going back.

The adversarial intensity is eye-to-eye.

HANNA: Then don’t take down scores.

NEIL: I do what I do best, I take scores. You do what you do best, trying to stop guys like me.

HANNA: So you never wanted a regular-type life?

NEIL: What the fuck is that? Barbecues and ball games?

HANNA (smiles): Yeah.

NEIL: This regular-type life like your life?

HANNA: My life? No, my life... No, my life’s a disaster zone. I got a stepdaughter so fucked up... because her real father is this large-type asshole. I got a wife. We’re passing each other on the down slope of a marriage... my third... because I spent all my time chasing guys like you around the block. That’s my life.

NEIL: A guy told me one time: “Don’t let yourself get attached to anything you are not willing to walk out on in 30 seconds flat if you feel the heat around the corner”. Now, if you’re on me, and you gotta move when I move... how do you expect to keep a -- A marriage?

HANNA: Well, that’s an interesting point. What are you, a monk?

NEIL: I have a woman.

HANNA: What do you tell her?

NEIL: I tell her I’m a salesman.

HANNA: So then, if you spot me coming around that corner... you’re just gonna walk out on this woman? Not say goodbye?

NEIL: That’s the discipline.

HANNA: That’s pretty vacant, no?

NEIL: Yeah, it is what it is. It’s that, or we both better go do something else, pal.

HANNA: I don’t know how to do anything else.

NEIL: Neither do I.

HANNA: I don’t much want to either.

NEIL: Neither do I.

Both of these guys look at each other and recognize the mutuality of their condition. Hanna’s light laughter.

HANNA: You know, I have this, uh, recurring dream. I’m sitting at this big banquet table and all the victims of all the murders I ever worked are sitting at this table and they’re staring at me with these black eyeballs... because they got eight-ball hemorrhages from the head wounds. And there they are these big balloon people... because I found them two weeks after they’d been under the bed. The neighbours reported the smell and there they are, all of them just sitting there.

NEIL: What do they say?

HANNA: Nothing.

NEIL: No talk?

HANNA: None. Just... They don’t have anything to say. See, we just look at each other. They look at me. And that’s it, that’s the dream.

NEIL: I have one where I’m drowning. And I gotta wake myself up and start breathing, or I’ll die in my sleep.

HANNA: You know what that’s about?

NEIL: Yeah. Having enough time.

HANNA: Enough time to do what you wanna do?

NEIL: That’s right.

HANNA: You doing it now?

NEIL: No, not yet.

HANNA: You know, we’re sitting here... you and I, like a couple regular fellows. You do what you do, and I do what I gotta do. And now that we’ve been face to face... if I’m there and I gotta put you away, I won’t like it. But I’ll tell you... if it’s between you and some poor bastard whose wife you’re gonna turn into a widow... brother, you are going down.

NEIL: There’s a flip side to that coin. What if you do get me boxed in and I gotta put you down? Because no matter what, you will not get in my way. We’ve been face to face, yeah... but I will not hesitate. Not for one second.

HANNA: Maybe that’s the way it’ll be. Or who knows?

NEIL: Or maybe we’ll never see each other again.

They look at each other for a moment. Neil’s wry smile.

Sunset Blvd.

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Stars are ageless, aren’t they?

Worte können Karrieren zerstören. So scheiterte mancher Schauspieler am Wechsel vom Stumm- zum Tonfilm, was nicht erst im vergangenen Jahr in The Artist zum Thema wurde. Michel Hazanavicius’ Oscargewinner erzählte dabei keine völlig neue Geschichte, eher eine Art von Prequel mit Happy End zu Billy Wilders Sunset Blvd. In seinem Film noir-Meisterwerk aus dem Jahr 1950 berichtete Wilder vom vergessenen Stummfilm-Star Norma Desmond (Gloria Swanson), die in ihrer einsamen Villa am Sunset Boulevard auf eine Rückkehr ins Filmgeschäft unter der Regie ihres alten Gönners Cecil B. DeMille wartet. Dass sie es am Ende wieder vor die Kameras schafft, ist dann jedoch keinem neuen Film von ihr geschuldet.

Stattdessen schwimmt in ihrem Pool die Leiche des erfolglosen Drehbuchautoren Joe Gillis (William Holden), mit zwei Kugeln im Rücken und einer im Bauch. Schon bald werden die Klatschreporter um Hedda Hopper den Vorfall genüsslich in den Medien zerreißen. “Maybe you’d like to hear the facts”, lädt uns derweil Gillis als Erzählstimme auf eine Rückschau der Ereignisse ein. Sechs Monate zuvor hatte der verschuldete B-Movie-Autor bei der Flucht vor seinen Gläubigern zufällig Schutz auf dem Anwesen von Norma Desmond gesucht. Von ihr angeheuert, ihr selbst geschriebenes Drehbuch zu straffen, verlor sich Gillis nach und nach in einem Abhängigkeitsverhältnis zu der Diva. Mit tragischen Konsequenzen.

Was passiert aus einem Film-Star, wenn seine Zeit verstrichen ist? Diese Frage stellten sich Wilder und Co-Autor Charles Brackett Ende der 1940er. Das Ergebnis ist auf eine Art ein klassischer Film noir, auf der anderen Seite allerdings auch eine Satire mit Meta-Anleihen über Hollywood selbst. “I just think that pictures should say a little something”, kritisiert die Lektorin Betty Schaefer (Nancy Olson) da bei einem Studio-Treffen das neueste Skript von Gillis. “Oh, one of those message kids”, entgegnet dieser höhnisch. “Just a story won’t do.” Ihr neckisches Gezanke wird dann letztlich von Paramount-Produzent Sheldrake (Fred Clark) mit dem Vergleich beendet, dass sie klingen “like a bunch of New York critics”.

Es ist daher die Ironie von Sunset Blvd., dass der B-Movie-Autor Gillis erst in bzw. durch seinen Tod die Chance hat, eine große Geschichte zu erzählen. Gefangen im Studio-System will Sheldrake sein Baseball-Drama zum Frauen-Softball-Streifen umwandeln. Vermarktung ist alles, soviel versteht Gillis dann zumindest selbst, wenn er sich bei Norma Desmond größer macht als er in Wirklichkeit ist. Aus der Arbeit für wenige Wochen werden daraufhin mehrere Monate und ab einem gewissen Zeitpunkt spielt Normas Drehbuch ohnehin keine Rolle mehr. Gillis ist inzwischen zu ihrem “boy toy” verkommen und zieht nach einem Wasserschaden im Gästehaus schließlich hinüber ins Schlafzimmer ihrer ehemaligen Ehemänner.

“Older woman who’s well to do. A younger man who’s not doing too well”, fasst es Gillis für Betty zusammen. Zuvor hat er in Normas Butler Max, einst der viel versprechende Regisseur Maximilian von Mayerling und Normas erster Gatte, gesehen, wohin ihn sein Weg wohl führen könnte. Wöchentlich schreibt er Fan-Briefe an die Hausherrin; als er erfährt, dass Paramount nicht unentwegt anruft, um Norma mit Cecil B. DeMille zu vereinen, sondern um ihren Wagen für ein Period Piece zu leasen, wird dies verschwiegen. The show must go on– wenn auch nur hier in Normas Palast am Sunset Boulevard. “You used to be big”, staunt Gillis zu Beginn. “I am big”, erwidert Norma brüskiert. “It’s the pictures that got small.”

Für Gillis ist klar, die Diva “was still sleepwalking along the giddy heights of a lost career”. Die Kommode und Wände zieren Bilder von sich selbst und auch im Privatkino werden Woche für Woche nur Norma Desmond Filme für Norma Desmond aufgeführt. “I don’t wanna be left alone”, klagt sie und umgibt sich doch nur mit sich selbst. Abgesehen von den gelegentlichen Bridge-Abenden mit anderen verblichenen Stimmfilm-Stars (darunter Buster Keaton). Zuvor schon musste sie ihren Schimpansen-Begleiter beerdigen – heutzutage fühlt man sich an angesichts einer solchen Primaten-Liebe an Prominente wie Michael Jackson – selbst eine tragische Figur à la Norma Desmond – oder Justin Bieber erinnert.

Ohnehin hat Wilders Meisterwerk nichts von seiner Aktualität eingebüßt. “There’s nothing tragic about being 50”, beschwört Gillis am Ende die Desmond. “Unless you’re trying to be 25.” Wer sieht die Szene und denkt nicht an Nicole Kidman, Meg Ryan und all die anderen Hollywood-Damen, die jenseits der 40 wöchentlich die Botox-Spritze anlegen? In seinem bissigen Kommentar auf Hollywood – “it is a wonder Hollywood ever let Wilder work again”, schrieb Colin Kennedy in der britischen Empire– eignet sich Sunset Blvd. dabei ebenso gut als companion piece zu Robert Aldrichs What Ever Happened to Baby Jane? wie zu Rob Reiners Misery. Schließlich ist auch Gillis ein Autor, gefangen in der Welt einer Verrückten.

Horror, Satire, Film noir – Wilder mäandert geschickt zwischen den Genres. Dabei ist sein Film am Ende natürlich auch großes Charakterkino, mit Dank an sein Darsteller-Trio. Gloria Swanson beherrscht diesen Film und umso beachtlicher ist es, dass sich weder William Holden noch Erich von Stroheim von der seinerzeit bereits abgetretenen Aktrice an die Wand spielen lassen. Sie alle erhalten später ihr Grande Finale, wenn in Normas Mord an Gillis dieser nicht nur eine Geschichte erzählen darf, sondern sogar eine, die wie es Betty nennen würde, etwas zu sagen hat. Norma dagegen ist das Objekt der Kamerabegierde (“All right, Mr. DeMille. I’m ready for my close-up”), mit Max als deren anweisender Regisseur.

Zugleich wurde nur angerissen, worüber sich ausgiebiger diskutieren ließe. Zum Beispiel ob sich eher Norma oder Betty für die Rolle der Femme fatale qualifiziert. Immerhin ist es Gillis’ Romanze mit Letzterer, die ihn endgültig ins Verderben stürzt und die Ereignisse im Finale lostritt. Oder man ergötzt sich an Locations wie Paramounts Autorenabteilung und fragt sich, ob sich die Coens hier zu Barton Fink inspirieren ließen. Billy Wilders Sunset Blvd. ist ein zeitloses Meisterwerk, das auch nach über 60 Jahren nichts von seiner Kraft eingebüßt hat. “I don’t want you to think I thought this was going to win any Academy Award”, hatte Gillis bezüglich seines Skripts gesagt. Wilder wiederum wurde mit einem Oscar ausgezeichnet.

10/10
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